CD Kritik Progressive Newsletter Nr.80 (04/2014)
Miriodor - Cobra Fakir
(50:26, Cuneiform Records, 2013)
Als 1998 auf Cuneiform Records mit "Rencontres" Miriodors frühe Aufnahmen von 1984 bis 1986 veröffentlicht wurden, war die kanadisch-frankophile Band aus Québec (dem Ort, der sich seit Ende der 1960er Jahre einer großen und erfolgreichen Progszene erfreute) (allerdings waren die Bandmitglieder bereits in den frühen 1980ern en bloc nach Montreal verzogen) bereits 18 Jahre alt und verfügte über einen Katalog von 4 Scheiben, die allesamt bei Cuneiform Records erschienen / neu aufgelegt worden waren, inklusive "Rencontres". Das ist 16 Jahre her, so dass Miriodor heute so um 34 Jahre als Band aktiv sind. Pascal Globensky (keys, p, synth) und Rémi Leclerc (dr, perc, keys, turntable) sind seit Beginn dabei (zumindest seit dem ersten Album, die Booklets ihrer CDs enthalten nicht viele Informationen). Dritter im Bunde ist Bernard Falaise (g, b, keys, banjo, turntable), seit "Jongleries elastiques" (1995) dabei. Im Laufe der Zeit durchlief die Band einige Besetzungswechsel, arbeitete mit diversen Gastmusikern (etwas dem Samla-Schweden Lars Hollmer, RIP), für "Cobra Fakir" reichte die Triobesetzung aus. Miriodor, die ihre CDs stets mit nett verrückt designten Booklets schmücken, haben ihren eigenen Stil, gehören seit Beginn zum Rock in Opposition Movement und spielen Avant Prog reichlich verrückter und in allem Ernst humorvoller Komposition, zeigen kein Faible für krass harte oder harsche Sounds, verbinden Stilmittel aus Progressive Rock, Jazz und Chamber Rock, wirken in ihren Songs stets nonchalant und lässig, vermeiden alle bombastischen Stilmittel wie im symphonischen Progressive Rock (die dann doch hin und wieder kurz auftreten), haben gewisse Ähnlichkeiten zu Bands wie Henry Cow, Samla Mammas Manna oder Débile Menthol, sind indes eher eigenständig und orientieren sich nicht an anderen Bands, wenn sie von diesen gewiss auch beeinflusst oder inspiriert worden sind (wie sie gewiss Einfluss in der RIO-Szene haben). "Cobra Fakir" als neuntes Album Miriodors ist eine Mischung aus herzlich schrägen Klängen, in die vermehrt retroprogressive Stilmittel Einzug hielten. Die 11 Songs und 50:26 Minuten wirken wie ein Film, ziehen mit ihren seltsamen, hinreißend ungewöhnlichen und dabei nicht unnahbaren, fast charmanten Songs in den Bann. Der Anfang des Albums wirkt noch etwas unscheinbar; schmeichelhaft und sanft ziehen die zwischen lyrischer Harmonie und abstrakter Schräglage entworfenen Songs dahin. Gerade die fast 9 Minuten des Titeltracks mit Mellotron-Sounds, schöngeistiger, vielschichtiger Keyboardarbeit und kraftvollem Progressive Rock Getrommel gehen erstaunlich weit in den symphonischen Progressive Rock hinein. Ohne die witzigen und 'abgefahrenen' Ideen vermissen zu lassen, die Miriodor so einzigartig machen. Jazzige Partien und dramatische Sounds, sehr schöne Bassarbeit, kraftvolles Schlagzeugspiel und immer wieder vielschichtiges symphonisches Tastenwerk geben den Songs in ihrer witzigen und schrägen Komposition unnachahmliche, beeindruckende Gesichter. Nach ein paar Songs wird der Prog-Gewöhnte das Album wohl nur unbedingt haben wollen. Und wenn dann so ein seltsames wie kurzes Märchenmonster wie "Un cas sibérien" zu hören ist, ist es um den Hörer geschehen. Immerhin kommen noch ein paar Songs - und die lassen nicht nach. Zwar ebbt "Cobra Fakir" in den beiden letzten Songs etwas dezent ab, ohne aber seinen ganzen Zauber missen zu lassen. Wenn der letzte Ton verklungen ist, kommt unwillkürlich die Frage auf: was, hier ist es jetzt schon zu Ende? Warum mit diesen dröhnend donnernden Hörnern von Jerusalem? Es ist doch gerade immens spannend!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2014