CD Kritik Progressive Newsletter Nr.80 (04/2014)
Höyry-Kone - Hyönteisiä voi rakastaa
(46:24, Nordic Notes, 1995/2014)
Höyry-Kone - Huono Parturi
(48:58, Nordic Notes, 1997/2014)
Mitte der 90er gehörten Höyry-Kone zur Speerspitze der avantgardistischen Progszene. Die etwas durchgeknallten Finnen schafften es auf brillante Weise, knarzende Cellos, progressiven Rock (man bezeichnete die Band auch gerne als Finn Crimson), klassische Elemente und nordische Melancholie in einer vitalen, aber immer unberechenbaren und leicht verrückten Form zu vereinen. Auch live wurde jede klischeehafte nordische Unterkühlung über Bord geworfen und bei diversen Auftritten konnte sich ebenfalls der Schreiber dieser Zeilen von deren umwerfender Qualität überzeugen. Leider lösten sich Höyry-Kone (in der deutschen Übersetzung: "Dampfmaschine") nach nur zwei Alben auf, wobei ein Teil der Band eine neue Heimat bei den ebenfalls sehr empfehlenswerten Alamaailman Vasarat fand. Die beiden Höyry-Kone Alben waren seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr erhältlich, bevor sich jetzt Nordic Notes als rührseliger Nachlaßverwalter empfahl und die Werke wiederveröffentlichte. Bonusmaterial war wohl leider keines verfügbar, so dass man nur die ursprünglichen Versionen neu auflegte. "Hyönteisiä voi rakastaa" ("Es ist möglich, Insekten zu lieben"), das Debüt aus dem Jahr 1995 wurde noch von einer 8-köpfigen Besetzung eingespielt. Dominiert von klassischen Instrumenten (Cello, Oboe, Violine) setzt man auf eine brillante Mixtur aus gut ausbalancierten Durchgeknalltheiten und teils zerbrechlichen, kammermusikalischen Passagen. Gerade die weicheren Momente erinnern oftmals an die ganz frühen King Crimson, als man neben harschen Ausbrüchen, auch immer wieder Zeit und Muße für wunderbare Melodien fand. Man ist dennoch nie vor überraschenden Wendungen gefeit, trotz dass die Band gänzlich auf Longtracks verzichtet. Dennoch steckt in den 10 Titeln des Erstlings so viel Überraschendes, so viel innere Unberechenbarkeiten und unterschwelliger Humor, dass es etwas Zeit benötigt, hier alle Feinheiten zu durchschauen. Auf dem 97er Nachfolger "Huonto Parturi" ("schlechter Barbier") ist man nur noch als Sextett aktiv, dafür wirken die Ideen wesentlich fokussierter, mehr auf den Punkt gebracht. Geblieben sind dennoch unvermeidbare Stilbrüche, die ganz lässig zwischen Klassik, heftigen Riffattacken, Tango und nordische Folklore wandeln. Dass man mit Cellos ziemlich brachial musizieren kann, dürfte spätestens seit Apocalyptica (sicherlich kein Zufall, dass die auch aus Finnland kommen) bekannt sein, bei Höyry-Kone ist deren Wucht aber nur eine Facette im überaus spannenden Gesamtkontext. Als Gast ist auf diesem Album übrigens Anekdoten Schlagzeuger Peter Nordins vertreten, zwischen beiden Bands bestand über die Jahre eine enge Freundschaft. Diese beiden Alben gehören definitiv zu den absoluten progressiven Juwelen der 90er. Wer es waghalsiger und sperriger mag, kommt an diesen Meisterwerken nicht vorbei.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2014