CD Kritik Progressive Newsletter Nr.79 (12/2013)

Oteme - Il giardino disincantato
(61:33, Strapontin{s}, 2013)

Die Wege des R.I.O. sind unergründlich. Vielfältig und zahllos sind seine Erscheinungen. Solange es im progressiv alternativen Kulturkreis heutiger Prägung begabte kreative Musiker gibt, wird seine Idee erhalten und weitergetragen. Vive la RIO! Oteme sind keine Rocker, das festzustellen, muss nicht erst das zum Schmunzeln anregende Bandfoto im Booklet studiert sein. Zwar kratzt und kreischt es bisweilen (elektrisch wie akustisch), prägen sich harsche und disharmonische Töne und avantgardistisch freie Strukturen aus. Doch die warme, lyrische und klassisch konzertante Abstraktionssprache der (instrumentalen) Kompositionen des Ensembles haben südeuropäisches Flair, das eher Folk- als Rockgeprägt ist, der Vielfalt akustischer, klassischer Instrument vertraut (Rockinstrumente ab und zu nicht vernachlässigt), bisweilen bis überwiegend Minimalmusik-typische Strukturen aufmacht, als spiele sie für einen Peter Greenaway-Film, dabei aber soviel Humor und Spiellust beweist, dass keine düsteren Abgründe sich auftun. Selbst dann nicht, wenn melancholische Sanftmut aus einem der Songs weht. Erster Höhepunkt auf dem italienisch großherzigen und musisch ungemein verspielten Album ist das 6:06 Minuten lange und rein instrumentale "Caduta massi", in dem vitale Höhenflüge, expressive, forsche Arrangements durchflogen werden, dass das Stück gleich ein zweites Mal durch den Raum muss. Als tanzten die Instrumente närrische Folklore und prägten verschiedene menschliche Charaktere mit musikalischen Motiven und ineinanderfließenden Soloparts aus. Fabelhaft! Vokalstücke leben eher von mildem Gesang, begleitet fast ausschließlich von akustischer Gitarre, die Folk mit dezent konzertanter Note spielt. Die Solostimme wird von abstrahierendem Chor begleitet, der sich partiell einbringt und die schlichten Farben so eines Stückes notwendig eindrucksvoller macht. Sobald das Ensemble mit einem instrumentalen Stück aufwartet, wird der musikalische Rahmen weiter, wechselt instrumental anarchischer Witz die vokale Melancholie ein. In allem bleiben Oteme überwiegend mild, wenn ihre Ideen auch überzeugend komponierte und hinreißend gespielte Freiheiten präsentieren, die gewiss nicht alltäglich sind und aus klassischer Erfahrung sprechen. Während Rockinstrumente dezent eingesetzt werden und nicht im Ansatz krass Energie abfeuern, sind es vor allem klassische Blas- (Flöten, Oboe, Englisch Horn, Klarinette, Bassklarinette, Trompete, Flügelhorn) und Perkussionsinstrumente (Xylophon u.a.) sowie Harfe, die diese reichhaltigen und schöngeistigen Songs prägen. In aller Lyrik stecken 'schräge' Ansätze, instrumentale Ausbrüche, atonale Einsätze, kurze Abstraktionen - sowie der warme, dunkle männliche Gesang, dessen folkgeprägte, dafür indes sehr nachdenkliche Strukturen ungewöhnlich sind und in seiner italienischen Sprache entfernt and Picchio Dal Pozzo denken lassen. Mit dem über eine Stunde langen "Il giardino disincantato" füllen Oteme eine Lücke zwischen aktuellen Kammerprog-Ensembles und RIO-Bands. Nie harsch, kaum atonal, dafür sehr gut komponiert und überzeugend abstrakt sind die Songs - die instrumentalen Finessen wie der auf Dauer etwas gleichförmig wirkende Gesang - nur großartig und absolut empfehlenswert. Kann Klassik-, Folk- und Prog-Fans gleichermaßen zusagen.

Volkmar Mantei



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