CD Kritik Progressive Newsletter Nr.79 (12/2013)
Haken - The mountain
(62:14, InsideOut, 2013)
Wow! Mit ihrem aktuellen Werk "The mountain" erklimmen bzw. überqueren Haken dem Albumtitel entsprechend den musikalischen Berg der großen Gefühle und landen damit den großen Wurf. Dieses Album hat alles, was ein großartiges Progalbum aktueller Prägung auszeichnet: wunderbare Vokalharmonien und interessante Gesangslinien, ein musikalisches Wechselbad zwischen melancholischen Momenten, jeder Menge mitreißender Atmosphäre sowie vertrackter Verspieltheit, bis hin zu gelegentlichen Schlenkern zu geradezu metallischer Vollbrett Bedienung und überdrehtem Bombast. Zum wiederholten Male landet damit eine hoffnungsvolle Band bei InsideOut, nachdem sie zuvor bei Laser's Edge bzw. Sensory unter Vertrag war (siehe Riverside, Indukti). Doch sollte man hier nicht vom aus dem Fußball stammenden FC Bayern München Phänomen sprechen, die mitunter einfach die guten Spieler vom Gegner aufkaufen, um diesen zu schwächen. InsideOut sind wirklich keine bloßen Aufkäufer, sondern entdecken immer noch genügend neue Bands selbst. Dass sie bei Haken genau den richtigen Augenblick zur "Übernahme" wählten, spricht eben auch für das richtige Händchen, zur rechten Zeit zuzugreifen. Genug der Fußballvergleiche, denn schließlich geht es hier immer noch um Musik. "The mountain" ist vor allem ein grandioses Kaleidoskop der unterschiedlichsten Einflüsse. Die Briten agieren modern, ohne gänzlich auf die progressive Vergangenheit zu verzichten. Das reicht von Retro Prog, verschachteltem Rock bis hin zu metallischen, abgehackten Elementen. So experimentiert man mal mit Gentle Giant Vokalspielereien, greift die Komplexität von King Crimson auf, vertraut aber ebenso auf atmosphärischen Art / Alternative Rock aktueller Prägung im Stil von Anathema oder seltenen Momenten des sphärischen Post Rocks à la Sigur Rós. Genauso findet hard-rockiger Bombast seinen Platz, gehören ganz leichte jazzige Sprenkler zum Stilkonglomerat. Was jetzt in der Beschreibung ziemlich überladen und wenig homogen klingt, präsentiert sich in der musikalischen Umsetzung als schlüssiges, überaus spannendes und faszinierendes Gesamtwerk, das jedoch wuchtig und mit jeder Menge Power daherkommt. Bereits beim ersten Anhören wird man mitgerissen, jeder weitere Durchgang offenbart neue Facetten im klangtechnisch und stilistisch sehr farbenfrohen Gesamtkunstwerk. Und doch: das Album rockt und groovt ohne Ende, ist aber gleichzeitig eine Klangreise zwischen sperriger Komplexität und melodischer Schönheit. Wer seine Dosis Progressive Rock in aktueller Färbung verträgt und auch nicht vor Traurigkeit und Heavyness zurückschreckt, bekommt hier die passende Vollbedienung.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2013