CD Kritik Progressive Newsletter Nr.79 (12/2013)

Ensemble Denada - Windfall
(45:02, Ozella Music, 2013)

Vor allem: dieses Album ist zu kurz! 45:02 Minuten sind eindeutig zu wenig! Wie nur weiter: hört Euch "The speedcouch (sic)" an, dann gleich noch einmal. Ist zu bekommen weiche Knie - lauter und lauter, lauter! Die Bläser! Der Percutroniker (!)! Das Basssaxophon, das da so tief unten grummelt und bohrt. Das Big Band Gefüge, die Solopartien, die krassen Unisonophrasen, die Vitalität des Spiels, der rundum perfekte Rhythmus - DAS ist der Song des Jahres! Der norwegische Komponist (und Posaunist) Helge Sunde hat nicht nur ein ausgezeichnetes Gespür für energisch kraftvollen Jazz mit Hang zu Rock und Avantgarde, Lyrik und Stille, nicht nur für britische Sprichwörter und norwegische Spätdichter, er vermag es vor allem, seine Band, sein Ensemble, zu motivieren, herauszufordern. Sprich - er hat Humor und kann Kommunikation. So rund und voll, lebhaft und großartig dieser impulsive Streich gleich zu Beginn dieses farbenfrohen, basssatten und überaus lyrischen Albums, so sehr ist dies das ganze Album insgesamt. Nils Jansen: hör nie wieder auf, Basssaxophon zu spielen! Niemand aus dem Ensemble sollte sich jemals anderen Dingen zuwenden, als diesen skandinavischen, norwegischen Jazz zu spielen, der sich aus europäischem Jazz, norwegischer Folklore, typischer skandinavischer dunkler Elegie, (progressivem) Avantgarde Rock, großer Handwerkskunst und illustrer Kreativität wie virtuoser Spielfreude speist. Zu Helge Sundes Vorbildern gehört Frank Zappa und das ist deutlich zu hören. So unterschiedlich Sunde und Zappa Musik kreieren, so gibt es doch deutliche Parallelen. Und nicht nur das rasante Geschwindigkeitsmöbel als Entree kann durchaus als zappaesk gewertet werden. Nix nachgespielt, sondern inspiriert selbstkreiert im freien musikalischen Sinn des Massas (RIP FZ). Weitere Vorbilder sind genannt, aus Modern Jazz und Jazzrock / Fusion, allesamt amerikanisch. Eine markante Parallele fehlt, und die ist britisch: Graham Collier. Auch dieser Meister ist bereits verstorben. Die durchkomponierten Songs mit straffer, aufwendiger und melodiesicherer Struktur sind enorm kurzweilig. Auf der Basis des kernigen, kraftvoll komplexen Rockrhythmus, der sich in etlichen Motiven mit Swingbecken vereint, arbeiten die 10 Bläser Big Band Phrasen aus, spielen unisono, werfen sich die Solo-Bälle zu, oder arbeiten im Ton-zu-Ton-Übergeben komplizierte Melodiemuster aus, die ungemein faszinieren. Vor allem in den forschen, vitalen Parts ist das Ensemble, sind die Songs eindrücklich und mitreißend. Peter Baden bringt Samples ein, spielt rhythmische und harmonische Electronics, die elektronische beats und sounds ins Gruppenspiel geben - gar ein Solo spielt er - was den überwiegend akustisch geprägten Gruppensound (Gitarre & Bass = elektrisch) sehr interessant bereichert, ohne sich in den Vordergrund zu spielen. Die Arrangements sind (und wirken) stets klug und reich, haben universitäres Flair, und sind dennoch lebhaft und emotional überschießend. In aller klaren und nüchternen Einspielung sind zahllose emotionale Sprünge und Entwicklungen, die dem Ensemble im Spiel gewiss kaum bewusst sind, dem Hörer dafür schnell ins Bewusstsein kommen. Sobald das Ensemble zu Balladen übergeht, der zweite Teil der CD wird damit stiller und dunkler, geht die 'Verrücktheit' zurück, wird es melancholisch und warm. Die Streicheleinheit wird der CD vermutlich gut tun und das Käuferpotential hochschrauben. Zum Glück aber sind die schnellen Tracks nicht vernachlässigt worden. Das meiner Meinung nach schwächste Stück ist mit "The entire truth" eine tief nachdenkliche Ballade mit lang einführendem (Jazz-)Gitarrensolo. Die abstrakten Arrangements sind wunderbar und in der Lyrik liegt viel Kraft, doch der cineastische Effekt, der in dieser Komposition (wie der Gitarrenarbeit) steckt, wirkt etwas seicht und könnte weitaus krasser, energischer und 'schräger' ausgeführt sein. Glücklicherweise beginnt das flotte "Sidewalk" darauf als schon vorletztes Stück im Geiste von Return To Forever, als diese 1978 konzertanten, Funk-triefenden Big Band Jazzrock spielten. Helge Sunds Stück ist ebenso kraftvoll wie Chick Coreas "The endless Night" - bleibt zu hoffen, dass "Sidewalk" live ebenso weit ausgeführt wird und zu dieser enormen Vitalität und Größe findet, die über komponierte Studioarbeit weit hinaus reicht. Eindeutig hat Helge Sund eine sehr elegante kreative Handschrift, die hoffentlich nicht aufhört, geübt und ausgeführt zu werden. Mehr davon! Mehr!

Volkmar Mantei



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