CD Kritik Progressive Newsletter Nr.79 (12/2013)

Gadi Caplan - Look back step forward
(47:29, Privatpressung, 2013)

In Israel geboren, in Brooklyn aufgewachsen und zu Hause, als Kind Pianospiel, als Teenager der Wechsel zur Gitarre, als das Interesse für Rock und Blues sich zu entfalten begann, in Indien Studium traditioneller indischer Musik, seit 2006 in New York City fliegender Wechsel von Rockband zu Rockband. Studium am Berklee College of Music in Boston: Jazz, Fusion und Funk sowie Komposition, seitdem starke Einflüsse von Pink Floyd und Frank Zappa - 2001 das Debüt "Opposite views". Hier ist das Follow-Up: "Look back step forward", (fast) rein instrumental, zwischen Rock, Jazz, Funk und Worldmusic mäandernd. Die 10 Songs beginnen etwas untertourig, der Opener malt zuerst leise jazzfusioneske Pianofiguren, ein Saxophonsolo legt sich drauf, die Band folgt auf tanzbar funky Weise: kein überraschender Auftakt! Mit der akustischen Gitarrenballade "Charlotte" folgt ein weiterer lyrischer Song. Dem ganzen Album hängt ein etwas unscheinbarer, melancholischer Geist an, der indes bald nett aufgetunt wird. Nicht nur Gadi Caplans Gitarrensoli machen einen guten Eindruck: seine kompositorische Handschrift findet Melodie und Harmonie, mag es komplex, aber nicht laut, ist am stärksten, wenn Jazzmoleküle sich entfalten. Immer eine Spur Pop im progressiven Rock transportierend, was beiden Polen anliegt: Jazz-Anteil und harmonisches Arrangement, in dem kein Beteiligter (und die Gästeliste ist lang!) die Songs in wild abstrakte oder aufgeregte Passagen verleitet, die Zügel sind festgezurrt, verrennt Gadi Caplan sich nicht zu sehr in Mainstream-Nähe, stets ist die Ambition zu erkennen, 'eigen'-artige Musik zu erschaffen, und nicht in altbekannten Gewässern zu schippern. Der vokale Harmoniewechsel in "Brother" ist gewagt und wirkt nicht großartig, obschon er erklärend mehrfach wiederholt wird. Das anschließende Gitarrensolo auf diesem perfekt wippenden Rhythmusgeflecht ist dies schon, und wie! Das vierte Stück ist eine George Harrison-Komposition, im lässigen Stil von Gong gespielt. Psychedelisches Flair macht sich auf. Wie selbstvergessen Gadi Caplan mit seinem Gitarrenspiel darübersteht, ist erstklassig! Schöner Song - so wie das folgende "Frostbite", das zum Ende hin geniale rhythmische Muster fährt, in dem die ganze Band, das ganze Arrangement zu Rhythmus wird und jeder aufpassen muss, wann er dran ist. Schick kantig angesägte Jazz-Funk-Fusion-Nummer in symphonischem Geist, die an Großtaten Frühsiebziger Slowakenjazzrocker andockt und melodisch schön krass übertreibt - ohne verrückt oder überdreht zu werden. Ruckzuck durchgespielt, furios und virtuos: perfetto! Das düster-lyrische "Indian summer" im Anschluss ist in ganz anderer Art ebenso dynamisch und emotional, das hell luftig folkige Thema mit World/ethnischem Touch auf der schleppend dunklen Basis beeindruckt ebenso wie die überraschende Geigenarbeit. Der Titeltrack geht noch mehr im Geist der progressiven 70er auf, als dies schon überhaupt der Fall ist, wieder macht die (melancholische) Geigenfigur den erstklassigen Track hörenswert. Die Jazzanteile bleiben lebendig, bis zum Ende, nach dem leisen Latin Jazzrock in "A latin winter" gibt es zuletzt im abschließenden "Tesha" ein weiteres sehr schönes, ausgedehntes Geigensolo, so dass die 47:31 Minuten CD-Länge viel zu kurz wirken.

Volkmar Mantei



© Progressive Newsletter 2013