CD Kritik Progressive Newsletter Nr.78 (08/2013)

Sigur Rós - Kveikur
(48:13, XL, 2013)

Sigur Rós, die mittlerweile nur noch als Trio fungieren, nachdem man sich von Keyboarder Kjartan Sveinsson trennte, sorgten im Vorfeld der Veröffentlichung von "Kveikur" für einige überraschende Ankündigungen. Da war von ungewöhnlicher Härte und Direktheit die Rede, kam eine Veränderung des bisherigen Sounds zur Sprache. Um es auf den Punkt zu bringen: "Kveikur" ist in gewisser Weise anders, eine Weiterentwicklung der Isländer, die nicht überall auf Gefallen stößt, was die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Fanbasis in all seinen Schattierungen zwischen Begeisterung und Enttäuschung seit der Veröffentlichung dokumentieren. Trotzdem sind neben dem typischen, sehr hohen Gesang von Frontmann Jónsi in der Kunstsprache "Hopeländisch" auf diesem Album ebenso andere Trademarks geblieben, wie teils traumwandlerische, mystische Schönheit, die es als typisch Sigur Rós-artig einstufen lassen. Die Sigur Rós Modifikationen fanden in zwei Richtungen statt: da wären zum einen die kaputten Sounds und für ihre Verhältnisse recht harten und direkten Gitarrenriffs, die z.B. dem Opener "Brennisteinn" eine ganz neue, überaus spannende Facette verleihen. Wäre "Kveikur" komplett auf diese Veränderung ausgerichtet, so könnte das Album sicherlich als interessante und geglückte Neuaustarierung gewertet werden. Das böse Wörtchen "wäre" kündigt es schon an: zum anderen geht die zweite Veränderung teils hin zu einfachen, fast schon simplen Arrangements, die nach handelsüblichem Alternative Rock der schwebenden Art klingen, jedoch die eigene Note nahezu außen vor lassen. Mit diesem Material gibt die Band ihre Eigenständigkeit zugunsten von Zugänglichkeit, aber auch berechenbarer Gleichtönigkeit auf. Das Schielen nach mehr Erfolg kann wohl kaum der Grund für die Anpassungen sein, denn mit ihren ungewöhnlichen, recht sperrigen Klängen haben sich Sigur Rós über viele Jahre eine sehr breite Fanbasis von Mainstream bis Underground erspielt. Deshalb erwecken diese Veränderungen eher das Gefühl, dass man einfach mal etwas Neues ausprobieren wollte. Das ist selbstverständlich erlaubt, doch gilt in der Beurteilung des eigenen Geschmacks und in Betrachtung des sonstigen Oeuvres der Isländer: Experiment angenommen, jedoch nur teilweise geglückt.

Kristian Selm



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