CD Kritik Progressive Newsletter Nr.76 (11/2012)

S.Y.P.H. - 4.LP
(39:23, MiG, 1981/2012)

Faszinierende Ernte für Avantgarde- und Kraut-Gärtner! Eine Ernte, deren Aussaat schon etwas weiter zurückliegt: Wir schreiben das Jahr 1976. Peter Braatz (alias "Harry Rag", voc, guit) und Uwe Jahnke (guit, voc) fahren nach Weilerswist im Kreis Euskirchen, um im dortigen "Innerspace"-Studio ein Interview für eine Schülerzeitung zu machen - mit Can, die damals die "spannendste Musik aus Deutschland" machten und dort die meisten ihrer Platten aufgenommen hatten. Die jungen Leute waren angefixt, blieben in Kontakt mit Holger Czukay, wenig später wurde die avantgardistische Punkband S.Y.P.H. gegründet, eine EP sowie die Debüt-LP ließen nicht lange auf sich warten... Anfang 1980 überfiel Braatz den Can-Granden mit der Bitte, ihre zweite LP im Innerspace aufnehmen zu dürfen - produziert vom Meister selbst! Der sagte erstaunlicherweise zu und nahm sich nach den nur fünf Tagen dauernden Aufnahmen des Materials intensiv an. Als er seine Ergebnisse rund sechs Wochen später der Band zu Gehör brachte, war Braatz so begeistert, wie der Rest der Band entgeistert: "Das ist nicht mehr S.Y.P.H.". Das Ende vom Lied bzw. LP war, dass das Album "Pst" in anderer Form erschien und das besonders nach "Yes we CAN" klingende Stück "Little Nemo" Holger Czukay überlassen wurde, der es wenig später auf seiner zweiten Soloscheibe "On the way to the peak of normal" verarbeitete. Da aber Braatz so angetan gewesen war, kam er für die "4. LP" 1981 wieder auf Czukay. Auf der sich - ausgleichende Gerechtigkeit - auch "Little Nemo" wiederfand. Czukay zeichnete hier sogar für Bass, Horn und Percussions verantwortlich. Das Ganze erscheint dieser Tage erneut, mit "Hergestellt in Deutschland" sogar auf einem neuen Label, einem Sublabel von Made In Germany Music, das sich der Bergung "längst verloren gegangen geglaubter Perlen der deutschen Rock-Elektronik und Avantgarde" der Sechziger und Siebziger widmet. Die Musik klingt - ähnlich wie Manches von Amon Düül oder Embryo - selbst heute noch experimentell. Nach drei grad mal zweiminütigen, noisigen Skizzen wie "Hänschen Horror" erweist sich "Nachbar" als sanft psychedelisch puckernder Anwohner und "Satarasch" als spaceige Abfluggelegenheit. Das 18-minütige "Little Nemo" schließlich ist eine dadaistische Beschwörung mit schaurig-schiefem deutschsprachigen Gesang, deren grad rhythmischen Reiz man sich nicht entziehen kann.

Klaus Reckert



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