CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)

Inner Ear Brigade - Rainbro
(52:41, AltrOck Productions, 2012)

California! Der Sonnenschein-Effekt ist den Avantrockern in Inner Ear Brigade in die Gene gewachsen. So anspruchsvoll die Kompositionen, so komplex die Songs, so viel lockere Lässigkeit, vitale Verrücktheit, stürmische Jugend und heillos fröhliche Energie stecken in den 10 70s-verseuchten Progressive Rock Songs auf der CD. Sängerin Melody (!) Ferris und Saxophonist Ivor Holloway nehmen die Gesangspartien überwiegend unisono, und die verspielt konzentrierte Horde Musiker, die glatt 'ne kleine Bigband voll kriegen würden, baut so locker den jazztriefenden, von lieblich harmonisch bis schräg disharmonisch reichenden, mal Bläserstärkeren, mal härteren, mal fusionesken, mal idyllischeren Sound so versiert und begnadet darum, dass nur zu staunen und aufmerksam hören bleibt. An Überraschungen ist "Rainbro" reich. Das Album kennt keine stilistischen Grenzen, zwar steckt alles, was Old School Jazz Prog sein kann, bis über die Ohren in den spiellüsternen Songs, und aber ebenso elektrischer Jazz aus Canterbury, Filmmusikhaftes, hier mal 'ne Country-Note im dichten Gewebe der elektronisch umfassten Avantprog-Arrangements, Liedhaftes, sanfte Melancholie-Hügel und epische Mellotron-Sinfonien. Dazwischen stecken energische Rhythmusbrüche, und die Fülle der Ideen ist so enorm groß und quasi unüberschau(hör)bar, dass die Suchtfreaks der Frickeljazz-Abteilung im Prog-Gewerbe eine gute Dosis Droge fürs Ohr und Gemüt bekommen. "Rainbro" kann immer wieder gehört werden, mein sich angenehmer Weise mal wieder im alten Zuhause über ein paar Wochen aufhaltender Nachwuchs nahm die CD aufmerksam wahr und meinte, das sei guter Stoff im Sinn der guten alten X-Legged Sally. Was annähernd und mit beiden Augen zugekniffen irgendwie vielleicht stimmt, und genau passt. Das Haus ist wieder leer und öde, schrecklich leise. Bleibt nur, die Stille zu verscheuchen. Die erstaunliche Aggressionsferne der fröhlich-schrägen Songs überrascht mich stets aufs Neue. Kaum zu glauben, dass die Band, wie im Booklet angegeben, aus 10 Musikern besteht. Kopf und Komponist ist Gitarrist und Keyboarder Bill Wolter, der sich wenig in den Vordergrund schiebt. Da sind keine Gitarrensoli, alle verspielten Schrägheiten passieren im Bandinterplay, Alleingänge sind kurz und selten. Frank Zappa selig würde gewiss sehr angetan sein vom reichen Sound der Band (seine Gitarre auspacken und einstöpseln), ihren hinreißenden Ideen, den guten, überraschend guten Kompositionen und überzeugenden Arrangements. Im AltrOck-Katalog, der an großartigen Alben nicht arm ist, setzen Bill Wolter und Inner Ear Brigade sich mit "Rainbro" deutlich durch.

Volkmar Mantei



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