CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)

Höstsonaten - The rime of the ancient mariner, Chapter One
(58:36, AMS, 2012)

Nachdem Fabio Zuffanti mit seinem Projekt Höstsonaten den großen Jahreszeitenzyklus mit dem 2011er Werk "Summereve" abgeschlossen hat, geht es gleich mit dem nächsten großen Konzeptwerk weiter. "The rime of the ancient mariner" (Die Ballade vom alten Seemann) wurde 1798 vom britischen Dichter Samuel Coleridge verfasst und nimmt gerade im englischsprachigen Raum einen bedeutenden Platz ein. So erstaunt es auch nicht, dass sich u.a. 1984 Iron Maiden an eine epische, über 13-minütige Umsetzung des Themas wagten, während im Prog Bereich das 75er Werk von David Bedford sicherlich zu den bekanntesten Interpretationen zählt. Zuffanti hingegen hatte 1995 die ersten Ideen, die Geschichte von Sünde und Vergebung musikalisch umzusetzen. So finden sich auf den ersten beiden Höstsonaten Alben bereits Ausschnitte seiner Interpretation der Ballade. Doch mit dem Endresultat immer etwas unzufrieden, hat der umtriebige Italiener alles überarbeitet und die Geschichte nun auf zwei Alben verteilt. Das zweite Kapitel ist übrigens bereits für 2013 angekündigt. Waren Höstsonaten im Vergleich zu La Maschera Di Cera und Finisterre - den beiden anderen Retro Prog Bands, bei denen Zuffanti tätig ist - immer etwas lyrischer, sanfter, so verschwimmen auf diesem Album immer mehr die Grenzen zwischen den Formationen. Dies kommt wahrscheinlich auch daher, dass ein Teil der Mannschaft von La Maschera Di Cera auf "The rime of the ancient mariner" mitwirkt und vor allem der Gesang von den unterschiedlichen Gastsänger/-innen eine sehr dominante Rolle einnimmt, während gerade der Jahreszeitenzyklus doch meist instrumental auskam. Auch sind die leicht jazz-rockigen Passagen fast komplett verschwunden, nehmen die folkigen Elemente eher eine untergeordnete Rolle ein, auch wenn noch immer Violine, Flöte und akustische Gitarre zu ihrem Recht kommen. So ist das aus fünf opulent gestalteten Titeln bestehende Werk in erster Linie die komplette italienisch geprägte Retro Prog Vollbedienung. Doch fehlt so etwas wie die eigene Note, die die bisherigen Höstsonaten Alben auszeichnete, wirkt "The rime of the ancient mariner" wie die Vermischung aller Zuffanti Prog Projekte. Trotzdem: eine wunderbar angetagt und authentisch klingende Tastenorgie, gepaart mit einer emotionalen, ausschweifenden Erzählweise (übrigens komplett in Englisch gesungen) und dem Wechsel aus sanften und sinfonischen Momenten. Kurz und knapp: alles geschmackvoll und stilsicher tief in den 70ern vergraben.

Kristian Selm



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