CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Giraffe - The power of suggestion
(54:21 Vertrieb: popplusone.com, 1987)
Giraffe - The view from here
(49:24 Vertrieb: popplusone.com, 1989)
Die Hinterlassenschaft des viel zu früh verstorbenen Kevin Gilbert erblickt nach und nach das Tageslicht. In liebevoller Kleinarbeit wurden DVDs restauriert, Aufnahmen überarbeitet und korrigiert, einige Outtakes entdeckt und zusammengefasst und so langsam bekommt man das Gefühl, dass die Discographie des genialen Singer / Songwriter, Arrangeur, Produzenten, Multi-Instrumentalisten und Tausendsassa in Gänze erhältlich ist. Solo-Alben, Kaviar, Toy Matinee, NRG und eben Giraffe sind die musikalischen Stationen eines viel zu kurzen Lebens. Daneben hat sich Gilbert als Grammy-ausgezeichnetes Mitglied des "Tuesday Night Music Club" (Sheryl Crow), Arrangeur und Tontechniker für Madonna, Michael Jackson und Spock's Beard (um einige zu nennen) einen Namen gemacht. Gilbert sollte 1997 - so wird kolportiert - die Nachfolge von Phil Collins bei Genesis antreten. Sein plötzlicher Tot ließ es nicht dazu kommen. Die Giraffe-Alben entstanden 1987 und 1989 und sind nun von popplusone wieder zugänglich gemacht worden, nachdem die Original-CDs für Fabel-Preise um $150,00 versteigert wurden. Das Original von "The power of suggestion" ist übrigens die erste veröffentlichte "Independent-CD". "The power of suggestion" ist ein klassisches Vehikel aus dem "Plastik-Jahrzehnt". Powerpop inspiriert durch den wuchtigen, klinischen Sound des ZTT-Labels von Trevor Horn oder Produktions-Projekte wie Rupert Hines Thinkmann. Funkige Rhythmen, flächendeckende Teppiche, Synthie-Gitarren und Bläsersätze... Das mag man inzwischen als charmant empfinden, das kann aber natürlich auch empfindlich nerven. Doch schon auf dem Debüt-Album der "Band" - tatsächlich waren die rekrutierten Mitglieder eigentlich nur bezahlte Musiker im Dienste des Ideenlieferanten - wartet mit eleganten Ideen auf, ist verhalten anspruchsvoll und trotz seiner Nähe zu waveigem Pop hört man immer wieder Gilberts Liebe zum klassischen Prog der 70er Jahre, insbesondere seine Affinität zu Genesis, heraus. Außerdem ist Gilberts Stimme vage vergleichbar mit der von Peter Gabriel, was solche Stücke wie das rhythmische "Image maker", etwas anders arrangiert, auch auf "So" vorstellbar macht. Das Album strahlt ein Konzeptfeeling aus und ist extrem sauber produziert. Hohe Schule, wenn man eine "perverse" Neigung zu künstlichem Plastiksound hat... Auf jeden Fall aber ein eindrucksvolles, erstes Lebenszeichen des Soundwizzards. Mit "The view from here" entwickelt sich Gilbert bereits deutlich weiter. Immer noch ist das eher Rock und Pop, aber allein die wunderschönen Arrangements lassen aufhorchen. Diverse Produktionsgimmicks, Fuzzbass, satte Drums und zurückhaltendere, geschmacksicherere Tasten veredeln eine Luxus-Scheibe, die höchsten professionellen Ansprüchen genügt. Dabei streift er schon in Ansätzen das, was wir heutzutage "New Artrock" nennen. Aufgenommen und gemischt wurde das Album auf einem 24-Spur-Gerät in Gilberts Garage, das Gegenteil von Garagen-Sound ist dabei herausgekommen. Erneut fühlt sich der geneigte Hörer irgendwie an Genesis erinnert, wenn dies auch eher die Genesis der 80er Jahre sind. Doch spätestens mit dem fantastisch instrumentierten und überdeutlich an die akustischen Momente einer Wind & Wuthering erinnernden "Air dance" wird klar, wie sehr Kevin Gilbert von dieser Band beeinflusst war. Später sollte das zu einigen Liveshows mit der ultimativen Version von "The lamb lies down on Broadway" (u.a. mit Nick D'Virgillio) führen, doch das ist eine andere Geschichte. Das Genie erkennt man auch in Lumpen, oder so... Ganz klar muss gesagt werden, dass für heutige Ohren die Platten ein bisschen "outdated" klingen mögen. Aber zum Teil macht das den Charme der Scheiben aus. Tatsächlich ist es die Brillanz mit der Gilbert seine Ideen umsetzt. Das federleichte Spiel mit Stimmungen und Sounds, die ihren Ursprung nicht verleugnen. Ein edles Stück undoofer Pop, dass ich empfehlen möchte, schließlich finden sich ja auch genug Fans von Unitopia, die eigentlich ganz ähnlich, nur nicht so begnadet klingen. Die Wiederveröffentlichungen sind auf das Nötigste reduziert, ein einfacher Pappschuber mit dem Original Artwork. Dafür kosten beide Scheiben zusammen auch nur $24,00 + Versand.
Fix Sadler
© Progressive Newsletter 2012