CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Garden Wall - Assurdo
(67:39, Lizard Records, 2011)
Der stärkste Eindruck, den Garden Wall mit ihrem achten Album "Assurdo" vermitteln, ist der des getriebenen Ausdruckwillens. Ob laszive Dämmerung oder überbordende Wildheit - in allem ist Obsession und Intensität. Sänger Alessandro Seravalle erinnert hin und wieder an den frühen Peter Hammill, an die Wut, die Leidenschaft, die diesen trieb. Stilistisch kümmern die Italiener sich kaum darum, Genrefreunden zu gefallen. Avantgardistische Expressivität trifft auf elektronische, eingängige Rhythmen, ausgefallene Instrumentalarbeit, sehr schön komponiert und unglaublich präsent in der Einspielung, fällt in crimsonesken Hardrock aus, ambiente Süße wird unvermittelt zu brutalem Schräg-Prog, es fiept und piept elektronisch allerorten, die Band drückt ekstatisch auf die Tube, als seien die gut gereiften Knaben im 17. Jünglingsjahr, lustig bebopender Quasijazz schlängelt sich durch orgiastische Elektronik / Avantgarde / Metal / Prog-Bruchlandschaften und in allem ist spitzbübische Ordnung. Die überwiegende Mehrheit Musiker verlieren im Laufe ihrer 'Karriere' Wildheit und Dramatik, gutes Beispiel: Robert Wyatt. Immer noch gut aktiv, dauern die Sekunden heute länger als einst. Garden Wall sind das Gegenbeispiel. Möglicher Weise sagen sie sich, dass ihr Musikerdasein jegliche Berechtigung verlöre, schwebten sie ins Altenteil ein. Stattdessen arbeiten sie mit energischer Wucht und immensem Willen gegen jede Ebbe an. Es gibt kaum weitere Alben, die ob ihrer Leidenschaft und Rassigkeit so empfehlenswert sind wie "Assurdo". Der ansteckende Druck, die stete Intensität, die 'Andersartigkeit' in der persönlichen, schrägen, künstlerisch beeindruckenden Art ihrer Songs, ihrer Einspielung bannt nur ungemein. Bislang kannte ich nur ein Vorgängerwerk von "Assurdo", das 1995er "The seduction of madness". Und schon dies ist enorm. Doch "Assurdo" legt mehr Kohlen auf. Um so ein paar Eckpunkte zum Nachvollziehen zu haben: da stecken Area, Devil Doll, King Crimson und Van der Graaf Generator drin - und nichts konkret von diesem allen. Garden Wall bauen auf kein vorgegebenes Fundament und schon gar nicht nach Standardbauweise, obschon die instrumentale Ästhetik, wie sollte es anders sein, nicht neu erfunden ist. Indes ist "Assurdo" kein leichtes Werk, kein dämmriges Vormittagseingelulle für die gebildete Küche, eher Hörgalerie des dramatischen Rock-Expressionismus in klassischem Gebäude, dessen Räumlichkeiten eine idyllische Idee der Hölle abbilden, und in denen Garden Wall als krasser Kontrast Licht und Humor verbreiten.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2012