CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Time's Forgotten - A relative moment of peace
(73:54, Privatpressung, 2006)
Die costaricanische Band Time's Forgotten dürfte mal wieder einen weißen Fleck auf der Prog-Weltkarte ausmerzen - jedenfalls ist mir keine vergleichbare Band aus der "Schweiz Mittelamerikas" bekannt. Im Regal des CD-Ladens in der Hauptstadt San José seltsamerweise unter Punk / Hardcore (!) einsortiert, vom hilfsbereiten Verkäufer als Progressive Metal klassifiziert trifft atmosphärischer Prog mit Prog Metal-Elementen die Musik der "vergessenen Zeit" wohl am ehesten. Ohne Lesen der Liner Notes käme aber wohl niemand auf den Gedanken, dass hier lebensfrohe Ticos (Spitzname der Costaricaner) aus der Stadt des immerwährenden Frühlings zu Werke sind: Allein das düstere Cover mit schwarz-weißem, kunstvollen Artwork lässt eher an eine europäische Indie-Band denken. Akzentfreier Gesang in Englisch und eine stets schwermütige Stimmung prägen die meist im Midtempo-Bereich gehaltenen zehn Titel. Das Stück "This troubled heart of mine" in 4 Abschnitten (aber über die CD verteilt) gibt insofern die Marschrichtung vor. Thematisch handelt das Konzeptalbum von einem einsam in Trauer und Verzweiflung lebenden Menschen, der Traum und Realität verwechselt. Nach einer Reihe von inneren Konflikten - u.a. eine imaginäre, zerbrochene Liebe - erreicht er schließlich seine persönliche Freiheit. Das Ganze wird von Time's Forgotten handwerklich gekonnt und sehr abwechslungsreich umgesetzt, dabei wird - typisch lateinamerikanisch - viel Wert auf hübsche, erkennbare Melodien und Harmonien gelegt. Die Metal-Axe wird nur selten hervor geholt, Keyboarder Juan Pablo Calvo, der fast alles komponiert hat, prägt mit ausladendem Piano- und Synthesizerspiel das Album. Zusätzlich schaffen chillige Loops, Celloschleifen, gregorianische Gesangsfetzen, eine Country-Fiddle, purplige Hammondsounds oder eine (leider nur elektronisch erzeugte) Oboe viel melancholische Atmosphäre. Sänger Francisco Longhi hat - solange es nicht zu metallig wird - eine sehr angenehme Stimme und wird z.T. durch weiblichen Gastgesang unterstützt. Dieser mitunter zweistimmige Gesang ist so richtig zum dahinschmelzen (etwa in der Edelschnulze "Never away"). Alles in allem ein sehr reifes Debüt, das viele Erinnerungen an so unterschiedliche Bands wie Fates Warning oder Porcupine Tree weckt und damals direkt mit einer Einladung der Band zum Baja Prog Festival 2007 nach Mexiko honoriert wurde.
Gerald Matuschek
© Progressive Newsletter 2012