CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)

Senogul - Cosecha años 70
(40:36, Privatpressung, 2003-2004)
Senogul - Transitos
(36:21, Privatpressung, 2004)
Senogul - Senogul
(70:30, Mylodon / Musea, 2007)
Senogul - Aural impressions concert for instrumental ensemble
(62:53, Margen Records, 2009)
Senogul - III
(48:40, Musea Parallele, 2011)

Ich bin bisher davon ausgegangen, dass es sich bei "Senogul III" um ihr drittes Album und bei "Senogul" um ihr Debütalbum handelt, doch auf der Homepage war kurzzeitig von 2 weiteren Alben die Rede, nämlich einem Album ausschließlich mit Coverversionen sowie einem Album ("Tránsitos") mit Demoaufnahmen. Angefangen hat alles offenbar mit Coverversionen. Was man angesichts der später präsentierten Musik so gar nicht erwarten würde: zu den gespielten Covern zählen Titel von Yes, Genesis, ELP, Liquid Tension Experiment - wobei gerade der Genesis-Titel zwar instrumental gut funktioniert, aber gesangsmäßig leider nicht mithalten kann. Ebenfalls gespielt wurde ein Song von Frank Zappa. Erste Gehversuche also, die aber so gar nicht das erahnen lassen, was später noch folgen sollte. "Tránsitos": Hier wurden nun die ersten Eigenkompositionen des Quintetts Eduardo G. Saluena (keyboards), Israel Sanchez (guitars), Pedro A. Menchaca (guitars), Alex Valero (drums), Pablo Canalis (bass) festgehalten. Die präsentierte Instrumentalmusik klingt schon ambitioniert, mit guter Mischung aus Gitarren- und Keyboardarbeit, und zeigt erste Ansätze von komplexen, abwechslungsreichen Kompositionen. Schon ein erstes Zeichen, das aufmerken lässt. Jetzt wird es offiziell: Ihr offizielles, titelloses Debütalbum erschien bei Musea (bzw. auch bei den Südamerikanern von Mylodon) im Jahre 2007. Und nun kann ich mir eigentlich meine Frage selbst beantworten, was die Zahl der Veröffentlichungen angeht. Denn sämtliche auf dem Demo-Album gespielten Titel finden sich auf "Senogul" wieder, und noch vieles mehr, was die Spielzeit schon anzeigt. Der Faktor Melodie kommt nicht zu kurz, gleichzeitig wird aber auch viel Wert darauf, nicht vorhersehbar zu klingen und Abwechslung in die Kompositionen einzubringen. Schnell wird deutlich, dass die Musiker ausgezeichnet mit ihren Instrumenten umzugehen wissen. Und auch das kompositorische Geschick wird deutlich. Symphonisches, Jazziges, Traditionelles wird auf erfreulich erfrischende Weise vermischt. Man höre sich beispielhaft das 12-minütige "Tango Mango" an. Was in diesem tatsächlich auf einem Tango basierenden Song alles hinein gepackt wurde, ist schon bemerkenswert. Trotz der hohen Spielzeit kommt keine Langeweile auf. Ein hervorragendes Debüt, bei dem noch vollkommen offen bleibt, in welche Richtung sich diese Band wohl weiter entwickeln würde. Verschiedene Möglichkeiten haben sie jedenfalls schon mal aufgezeigt. Mit "Aural impressions concert for instrumental ensemble" machen es die Spanier dem Hörer gewiss nicht leicht. Nach dem Prog-Jazz-Fusion Mix auf ihrem titellosen Debütalbum entschieden sie sich für das Nachfolgealbum für eine komplette Neuausrichtung, der ich zugegebenermaßen nicht ganz folgen kann, da sie meine Geschmacksrichtung so gar nicht treffen will. Auf neun Titel verteilt geht es hier um subjektive Eindrücke, angeregt durch auditive Reize. Da ist die Rede von spiritueller Seelenwanderung, von Sich-Öffnen usw. Insgesamt zwei Jahre wurde an diesem Album gefeilt, das im Wesentlichen auf Kreationen von Sounds basiert, hohen Percussionsanteil und einen gewissen Ethno-Touch hat. Nichts, was direkt in den Gehörgängen haften bleibt, sondern mit Atmosphäre, teils zufällig entstandenen Sounds zu tun hat. Schwerer Tobak und mit einer Intention produziert, die wohl eher nicht in das übliche Schema des PNL-Stoffes fällt. Seltsames Album, wenngleich an einigen Stellen durchaus interessant. Ihr aktuelles Werk (Stand April 2012) zeigt die Spanier in absoluter Bestform. Sie präsentieren sich wieder als musikalisches Chamäleon. Nicht nur, dass man bei ihnen kaum vorhersehen kann, was wohl auf dem nächsten Album zu erwarten ist, hier kann man noch nicht mal erahnen, in welchen musikalischen Bahnen es denn wohl im nächsten Song auf "III" weitergeht, derart vielfältig ist das, was dem Hörer hier geboten wird. Ob Jazz, World Music, Ambient, Symphonic Rock, RIO, Flamenco Rock - das hat alles Hand und Fuß, kommt extrem spritzig daher und macht mir ungemein viel Spaß, selbst wenn die gebotene Ausrichtung bisweilen gar nicht in mein persönliches Beuteschema fällt. Großartig! Ein Blick ins Booklet macht bei der Aufzählung der gespielten Instrumente schon schnell deutlich, dass hier enorm viel drin steckt und gleich der erste Hördurchgang macht klar, dass hier mit sehr viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde. So ist beispielsweise die Rhythmusarbeit ausgesprochen farbenfroh gestaltet, da werden Unmengen an Perkussionsinstrumenten aufgefahren, und doch klingt alles absolut stimmig und nicht überladen. Dafür sorgen auch viele Gastmusiker, so unter anderem Luis Cobo (auch als "Manglis" bekannt). Ob die hervorragende Tastenarbeit von Eduardo G. Saluena, die bereits erwähnte exzellente perkussive Ausarbeitung, die feinen Gitarrenparts der beiden Gitarristen, oder die zahlreichen Gastbeiträge an Saxophon, Geige, Fagott, Akkordeon usw. - das alles spielt sich auf ausgesprochen hohem Niveau ab. Selbst die seltenen Gesangseinlagen wirken nicht störend, sondern sind adäquat integriert. Das klingt mal ansatzweise nach King Crimson, Univers Zero, Gentle Giant, oder aber auch - wie am abschließenden "Sopa colora" - typisch spanisch a la Alameda. Doch Senogul wären nicht Senogul, wenn in diesem Abschlusstitel nicht der Flamenco-Rock Marke Alameda sich plötzlich in eine ganz andere Richtung entwickelt, in diesem Falle in eine eher symphonische Klanglandschaft, am Ende klingt es gar ein bisschen YESsig. Das ist ganz großer Sport und ich hoffe, dass die Spanier auf diesem Niveau weiter machen können - die Messlatte ist hiermit jedoch sehr hoch angelegt.

Jürgen Meurer



© Progressive Newsletter 2012