CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Neograss - Atlantis
(38:27, TMA, 2011)
Das ist doch mal wieder etwas Besonderes! Hier kommt einem herrlicher Retro-Sound entgegen, mehr Retro geht kaum. Mellotron ohne Ende, Banks-artige Synthesizerläufe. Kein Wunder, dass die Keyboards hier dominieren, denn neben Keyboarder Benjamin Mork (Mellotron / Moog) bedient auch Gitarrist Tore-Morten Andreassen das gute alte Mellotron. Das Ganze weniger im angeschrägten, crimsonesken Bereich, sondern vielmehr tief im Symphonik-Prog verwurzelt. Das norwegische Quintett Neograss wurde 2006 gegründert und spielte anfänglich zumeist ... traditionellen Bluegrass! Jawohl, richtig gelesen - Bluegrass. Vielleicht kommt ja daher der Bandname, dass man sich von eben diesem Bluegrass in neue Gefilde vorgewagt hat - eben Neo Grass. Und das ist überraschenderweise genau diese symphonisch-bombastische Ausrichtung. Die Vergangenheit kommt dahingehend durch, dass zum einen Sänger Emil Bekkevold nicht gerade wie ein typischer Prog-Sänger klingt, sondern ich ihn gesangstechnisch tatsächlich eher im Country-Bereich geortet hätte. Außerdem trägt er auch wesentlich zu einem markanten Charakteristikum des Neograss-Sounds bei - er spielt Banjo! Und das ist wirklich eine interessante Kombination, wenn sich zum Tastenbombast eben nicht typische Gitarrenlinien gesellen, sondern sich ein Banjo bemerkbar macht. Sehr eigenwillig, aber interessant und gut gemacht. Das 5-geteilte Titelstück "Atlantis" macht den Großteil des Albums aus, doch auch der 10-minütige Opener "Lemuria: the hypothetical lost continent, phase 3 of mankind" passt perfekt ins Gesamtbild. Schon da sollte jeder Mellotron-Fan begeistert sein. Der erste Teil des Longtracks erinnert mit seinen Synthiflächen und der zugemischten Stimme aus dem Off ein wenig wie Eloy auf "Oceans", doch auf diesen etwas langatmigen Teil folgt wieder feinster Keyboard-Retro-Prog mit eben besagter Besonderheit bezüglich der Saitenarbeit. Der Gesang ist sicherlich etwas gewöhnungsbedürftig, aber die schönen Melodien und der wiederkehrende rote Faden sorgen bei mir für beste Unterhaltung. Pflichtveranstaltung für jeden Mellotron-Fan! Bin mal sehr gespannt, was man von den Norwegern zukünftig noch so geboten bekommt. Die mir vorliegende Fassung enthält übrigens noch eine Bonus-CD mit einer über 27-minütigen "Unedited" Version des Titelsongs.
Jürgen Meurer
© Progressive Newsletter 2012