CD Kritik Progressive Newsletter Nr.75 (07/2012)
Motorpsycho and Ståle Storløkken - The Death Defying Unicorn
(83:49, Rune Grammofon, 2012)
Motorpsycho gehört zu den Bands, die sich nicht so recht festmachen lassen. Gestartet als Alternative- und / oder Hardrock-Combo, entwickelte sie einen Stil der sich zwischen Psychedelic, Schweinerock, Hardrock, Jazz und Metal wiederfindet. Am Ende muss der geneigte Schreiberling aber aufgeben und konstatieren, dass die Musik "Motorpsycho" ist. Experimentell ging es bei dem Trio immer schon zu, spielte es doch bereits 2003 "In the fishtank" mit den Jaga Jazzist Horns ein. Auch gab es freiförmige Psychedlic-Ausflüge mit Tracklängen bis zu 25 Minuten, dies aber immer mit mächtig viel "Rumms" und der Band-typischen Dynamik. Das Trio entwickelt Musik und ist offen für allerlei Einflüsse und so konnte es kaum verwundern, dass 2011 ein "fantastisches Musikmärchen" angekündigt wurde. In Zusammenarbeit mit dem bekannten, norwegischen Jazz-Pianisten Ståle Storløkken, der große Teile des Albums federführend "dirigiert" hat, entstand vorliegendes Werk. Ein klassisches, durch und durch den Geist der 70er Jahre atmendes Konzept-Doppelalbum. Die schräge Storyline beschäftigt sich mit einer "Landratte", die - aus welchen Gründen auch immer - auf eine Schiffsreise geht, Schiffbruch erleidet und Robinson-like sein Leben auf einer Insel fristet. Oder so... Musikalisch wird nicht gezaudert. Ein volles, komplett abgehobenes Programm wird geboten. Die Rockoper wird orchestriert, zwanzig Gastmusiker stehen auf der Gästeliste. Da wird gejazzed, da wird gerockt, da wird geprogged und gejammed. Hard Rock a la Black Sabbath trifft auf Artrock á la Yes. Kammerorchestrale Momente werden kontrakariert durch abgepfiffene, psychedelische Elemente. Das mit Ståle Storløkken zum Quartet mutierte Ensemble bedient sich bei Klassikern wie "Tommy" (The Who), "The lamb lies down on Broadway" (Genesis) oder dem "White Album" der Beatles. Immer wieder vernimmt man Vokal-Arrangements die überdeutlich an Yes erinnern, vor allem verbindende Interludes und Instrumental-Passagen deuten auf King Crimson ("Islands", "Larks' tongues in aspic") hin. Es ist das ultimative Schwelgen in den seeligen 70ern. Schlussendlich ist es aber dennoch ein "typischer" Motorpsycho-Sound, welcher auf den Hörer herniedergeht. Druckvoll, rockig, dreckig gesungen - wobei man der Band einige Chor-Passagen eigentlich gar nicht zugetraut hätte, einen richtig guten Sänger hat die Combo nämlich nicht - und überdeutlich einer psychedelischen und hardrockigen Grundausrichtung verpflichtet. Ich bin kein Freund von Doppelalben. Entweder ich verliere die Lust an aufgeblasenen Konzepten, oder der Truppe geht die Luft aus... "The Death Defying Unicorn" bleibt aber stringent, spannend und fordernd. Kaum eine Sekunde wirkt wie Füllmaterial oder künstliches "Pimpen", allzu schlüssig, selbstverständlich und fließend überzeugen die achtzig Minuten dieses Monuments. Und das mag schlussendlich daran liegen, dass die Band sich mit dieser Scheibe einen ziemlich aufwendigen "Scherz" erlaubt hat. "Seht her, ihr Prognerds. So wird's gemacht. Alles was ihr wollt und mehr, locker vom Hocker. Hier ist euer Album des Jahres!" Der philiströse Anspruch unserer Szene wird bedient und das Augenzwinkern der "Projektleiter" ist spätestens beim satanischen "Changes"-Zitat (Ihr erinnert Euch an "90125" von Yes?) in "Mutiny!" nicht mehr zu überhören. Diese Platte ist ein absolut meisterhaftes, klassisches Retro Prog-Album bei dem einfach alles stimmt, bis hin zur ironischen Selbstwahrnehmung. Es ist fast "over the top", es ist fast zu Retro, es ist fast zu albern und fast zu "Oper". Aber eigentlich ist es perfekt. Ich bin sicher, dass die Band ihr Album liebt, dennoch lasse ich mich gerne von dieser Platte verarschen. Größtmögliches Tennis. Ein Meisterwerk.
Fix Sadler
© Progressive Newsletter 2012