CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)
Machine Mass Trio - As real as thinking
(64:09, Moonjune Records, 2011)
Zu Beginn Irritation. Im weitesten Sinn im Jazzrock zuhause, und da eher Jazz als Rock, bastelt das Trio Michel Delville (g, synth-g, electronics, Bouzouki), Tony Bianco (dr, perc, loops) und Jordi Grognard (ts, fl, b-cl, Bansouri, electronic tempura) einen Mix aus avantgardistischer Expressivität und eingängigem Groove. Klingt zuerst, als sei das Ziel, nicht in alte Gangarten zu verfallen; keine untoten Geister zu wecken, mit denen man nicht verglichen werden will. Wirkt aber im Laufe seiner 8 teilweise überlang ausgedehnten Songs überlegt, homogen und gar und ganz unstressig, nicht dem Motto der Modernität hinterher hechelnd und Selbstverleugnung übend, sondern locker, spielintensiv und lasziv ausgedehnt improvisiert. Vor allem Schlagzeuger Tony Bianco sorgt für das Fremdeln. Wenn die Stücke songorientiert grooven, übt er sich in modernen Beats, legt vor, als entstamme er einer HipHop-Gang und versuche sich im elektrischen Jazz, ohne seine Basis zu leugnen. Jordi Grognard liefert den jazzigsten Part, der Sound des Tenorsaxophons ist nicht krass heftig oder old school, sondern sanft und lyrisch, wie die Elektrikjazzer aus den 80ern, die weitaus mehr Mainstream als Avantgarde waren. Indes, das Umfeld ist alles andere als Mainstream. Und wenn das Trio sich in die freie Weite freakiger elektrischer Jazzimprovisationen aufmacht, beschwingt Drummer Tony Bianco seinen Takt zu Jazz und Multifreak Grognard dreht an elektronischen Knöpfen, schräge Sounds entstehen zu lassen. König des Ensembles ist Gitarrist Michel Delville, der zwischen Jazz und Rock nicht nur mit seiner Combo The Wrong Object bewiesen hat, wie elektrischer Jazz und avantgardistischer Rock zu nachvollziehbarer tonaler Größe zusammenwuchern können. Sein Ton wechselt ins Synthesizer-Gitarren-Wirre, in harten Rock, in rasseligen Impro-Jazz und intensiv triefende Jazzrock-Rasanz. Erstaunlicher Weise hat Drummer Bianco die überwiegende Anzahl Ideen gehabt und Songs geschrieben, oder haben zwei der Truppe oder gleich alle drei improvisativ zum Thema gefunden und stehen somit alle zusammen als Komponisten in Klammern - Bianco war der treibende Keil. Das Machine Mass Trio ist aus einem douBt - Side project gewachsen, dem Bianco und Delville angehören und zuarbeiten. Im Text zur CD steht was von Nu-Jazz, keine Ahnung, was die Erwähnung des Namens, des Labels soll, ob es das (noch) gibt (oder je gab), die Eigenart des Trios in seinem Mix aus moderner Groove-Lustigkeit und improvisativer Ernsthaftigkeit könnte so etwas erfüllen. Einer der Mittelpunkte der 64:09 Minuten langen CD ist das 18-minütige Impro-Monster "Falling up", exzellent frei, krass intensiv und jazzverkopft, locker und neugierig gespielt. Exzellenter Track für (Electric) Modern Jazz (Rock) Fans. Die beiden Psychedelic World / Folk-Tracks "Khajurao" und "Palitana mood" ergänzen mit jazzuntypischen, mythenhaften Sounds die Jazztracks. Das Beste kommt zum Schluss: Track 6, "UFO-RA", ist grandioser Swing-Rock mit strengem Thema, straffer Rhythmik und Gänsehautwirkung. Jazzinteressierte Rockfans werden "As real as thinking" kaum leicht nachvollziehen können/wollen, dafür ist das Album trotz der modern und zeitgeistig hoppelnden Schlagzeugarbeit zu viel Avant Jazz. Jazz(rocker) indes werden ihren Spaß haben!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2012