CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)

Embryo - Surfin'
(39:40, Garden Of Delights, 1975)

1974 eingespielt und Anfang 1975 veröffentlicht, ist Embryo's "Surfin'"" im stilistischen Wendeknick der Kraut-Jazzrocker ganz deutlich nicht mehr von der alten und noch nicht von der neuen Schule. Doch so üblich schlecht der Jazz-Funk bezeichnet wird, finde ich ihn gar nicht. Gewiss ist der Sound der mit 6 Alben im Katalog gereiften Band nicht mehr so wild, leidenschaftlich und abgefahren wie in den Jahren zuvor - wie sehr gut neben den originalen Alben auf den Live CDs "Bremen 1971" und "Wiesbaden 1972" zu erleben. Christian Burchard (dr, vib, mar, mel, perc, p) und Roman Bunka (g, b, cl, voc, perc, Sitar) hatten sich in neue Klänge verguckt/hört. Mit Uwe Müllrich (b), Charlie Mariano (ss, as, q-fl, Nagaswaram) und Edgar Hofmann (vi, ss) neben Burchard und Bunka war die aktuelle Band besetzt. Im Studio entstanden knackfrische Songs, die vor allem eines waren: funky, jazztrunken und sehr eingängig. Auf Grund des knackigen und differenzierten Schlagzeugspiels Burchards und der jazzigen Bläserfiguren Marianos sind die Songs kein Pop, jedoch nur im letzten Teil des letzten Stückes, "Sidetrack", läuft die Band kurz zu (alter) progressiver Rasanz auf. Die Songs sind ganz Funk-Jazzrock. Eingängiger, längst nicht belangloser Groove untermauert knackig-satte Funkfiguren. Ethnische Motive sind partiell stark präsent, manches Stück, wie etwa "Music of today", sind von seltsamen, jazzig-kratzigen Keyboards bestimmt, die den melodischen Raum zwischen der harten Funkrhythmik füllen. Charlie Mariano macht die beste Figur, seine Soli sind rasant und energisch, während die Band diese schneidend-scharfe Rhythmusbasis mauert. Alles ist ungemein stark rhythmusgeprägt, ein paar freakige Soli und jazzige Ausflüge machen, dass die Band die Zügel fahren lässt, doch bald wieder wird straffer Druck erzeugt, ist jeder einzelne Ton vital, knackig und cool. Ein paar Songs, wie etwa der Opener "You can turn me on", der Titeltrack oder "New ridin'" sind nicht viel mehr als nur Spaß an (damals aktuellem) Funk und machen nur Sinn für Fans, die Funk mögen. Warum die eigenwillige Notiz "In my lunamatic" nur anderthalb Minuten währt, geht mir nicht auf. Das Stück hat Charakter und würde epischem Jazzrock oder fetzigem Funk als Basis gut stehen. Das lange "Dance of some broken glasses" hat in seinen 9 Minuten diese lässig Epik, die im Jazzrock viel möglich machte. Zwar passiert nicht viel, aber die zerfahrene Melodiearbeit an Flöte und ethnischen Instrumenten macht das auf verquast-sphärischen Keyboards mäandernde Stück ganz unterhaltsam. Zuletzt noch einmal Funk: "Sidetrack" beginnt Groove-satt und nimmt mittendrin, wie bereits angesprochen, die Wende zum alten Progressive Rock. Nach etwas weniger als 40 Minuten ist der Spaß vorbei und im Raum bleibt die Frage, was da eben so vorbeigezogen war. Gewiss zeichnet die Platte eine gewisse Banalität aus, es strengt an, sich auf das laue Lüftchen zu konzentrieren. Aber wenn die Platte ein paar Mal durchläuft, werden die Songs lebendig und lassen ihre Vitamine sprießen. Also, "Surfin'" ist längst kein schlechtes Werk. Im Embryo-Katalog aber gewiss auch keine Großtat.

Volkmar Mantei



© Progressive Newsletter 2012