CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)
After Crying - Creatura
(63:30, Periferic Records, 2011)
Acht Jahre haben uns die ungarischen Komplexprogger von After Crying auf ein neues Studioalbum nach "Show" warten lassen. Höchstwahrscheinlich mussten die Musiker ihren beruflichen und familiären Pflichten Tribut zollen und konnten ihrem Hobby nicht mehr mit Veröffentlichungen im zweijährigen Rhythmus nachkommen. Umso neugieriger wird man dann natürlich auf etwas Neues und die Erwartungshaltung an die Qualität einer Veröffentlichung liegt dann auch umso höher. Doch schon auf ihrem ausgezeichneten Konzert am 16. Oktober 2011 im "Spirit of 66" haben sie bei zwei Longtrack-Auszügen ihres neuen Albums gezeigt, dass sie von ihrer außergewöhnlichen Güte nichts eingebüßt haben. Das am 9. November 2011 veröffentlichte Konzeptalbum "Creatura" berichtet über die Erlebnisse eines Außerirdischen auf unserem blauen Planeten. Allerdings muss man jetzt nicht mit zugetexteten Stücken der Ungarn rechnen. Die überwiegend in ihrer Heimatsprache (bis auf einen Track in Englisch) dargebotenen Gesänge nehmen eher einen untergeordneten Teil der 63-minütigen Geschichte ein. Der bei After Crying schon seit "Show-Zeiten" bekannte Sänger Zoltán Bátky, der auch in einer progressiven Metalband shoutet und ohne weiteres als Musicalröhre durchgehen würde, macht seine Sache richtig gut. Allerdings sollte man mit den für unsere Ohren gewöhnungsbedürftigen Lauten der ungarischen Sprache klarkommen. Normalerweise habe ich da so meine Probleme mit den slawischen und skandinavischen Gesängen, aber gerade die Intonation von Zoltán Bátky gefällt mir. Das Konzeptwerk besteht aus vier Longtracks, die insgesamt in 23 einzelne Titeln untergliedert sind. Die Eröffnung jedes Longtracks wird von einer gleichlautenden temperamentvollen sinfonischen Melodie ("Preludio") eingeleitet, welche in Nuancen (u.a. "Metropolitano", "Percussivo") anders interpretiert wird. Anschließend verschmelzen die Ungarn gewohntermaßen einen breit gefächerten Stilmix in bester Crossoverprog Manier. Selbstverständlich tragen die klassischen Musikinstrumente einen wesentlichen Anteil auf "Creatura" bei, was sich auch durch 16 Gastmusiker an unter anderem Flöte, Oboe, Violine, Viola oder Harfe zeigt. Zusätzlich weiß die Band ebenfalls heftig zu rocken, wandelt in Klangräumen wie bei einem Filmsoundtrack, klingt eingängig poppig sowie balladesk, und kann auch sperrig-komplexe Töne erzeugen. Einige ausgezeichnete Soli wie am Cello oder der Violine geben dem Werk zusätzliche Würze, sodass man bei "Creatura" nun wahrlich nicht von einer stimmungsarmen Produktion sprechen kann. Wer gerne in unterschiedlichste Genrebereiche des Prog wandelt und mit ungarischem Gesang leben kann, sollte Spaß an After Cryings siebter Studioproduktion haben. Auch wenn nicht alles richtig rund und packend klingt, so ist den Klassikproggern aus Osteuropa zum Ende des Jahres 2011 ein ausgefallenes und unterhaltsames kleines Highlight gelungen.
Wolfram Ehrhardt
© Progressive Newsletter 2012