CD Kritik Progressive Newsletter Nr.74 (02/2012)

Slivovitz - Bani ahead
(43:38, Moonjune Records, 2011)

Und trotz Jazzrock ins unzähligste Lebensjahr geht, da ist nicht alles ausgeweidet. Wenn vor allem in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre überwiegend ästhetisierender Kitsch produziert wurde, der in den folgenden musikgrausigen 1980er Jahren seinen unleidlichen Höhepunkt feierte, folgte ein neues Jahrzehnt, befreites Leben in (fast ganz) Europa und Musikerneuerung, die allen Facetten aller Stile ihren ureigenen Charakter zurückgab und schließlich alles erlaubte. So etwa kann Demokratie funktionieren - und keine Musikdiktatur, wie in den 80ern, als alles "Alte" als hässlich, eklig, widerlich gar galt und selbst der letzte Hörer bemüht war, weiße Turnschuhe zu tragen, um nicht als der letzte Depp zu gelten. Die Diktatoren von einst sind von der Independent-Szene kaltgestellt worden oder agieren im vierhundertdreiundneunzigsten Stockwerk weit weg jeder Realität und sammeln Eindollarscheine. Adieu! Slivovitz klingen, als stammten sie aus Bulgarien oder Rumänien. Italien ist ihre Heimat und das ist so fern nicht. Der Sound hat Balkancharakter, Zigeunerschmackes, herzhaft mitreißenden Charakter - und die komplexe Qualität, die aus Progressive Rock und Jazzrock zusammenfließt. Längst nicht in der Masse vergleichbar, gibt es doch etliche Parallelen zum brassigen Jazzrock. Rein instrumental, dabei schön kräftig und saftig gespielt, hier sensibel und intensiv, da drahtig ungestüm und selbstbewusst, fließen die energischen Songs in ihre Minuten und machen einen sehr guten Eindruck dabei. Das erstklassige Drumming wird von Basisbass unterstützt und von der elektrischen Gitarre, die sich oftmals zurückzieht, keine extravaganten Register zieht. Französisch forsch ist der Akkordeon-Anteil, überall die beiden Bläser (Trompete und Tenor- sowie Sopransaxophon), die ganz besonderen i-Tüpfelchen liefert das Violinenspiel. Nicht ein Song ist von überwältigender kompositorischer Qualität. Alle Stücke indes funktionieren gut, in ihrer energischen Fröhlichkeit, sanften Nachdenklichkeit, komplexen Gedankenwelt. Die Besonderheit ist der Balkanfaktor, der nie noch so folkloristisch im Jazzrock ganz modern sich gezeigt hat und der Band ihren ureigenen Charakter gibt.

Volkmar Mantei



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