CD Kritik Progressive Newsletter Nr.73 (11/2011)

Mike Keneally Band - Bakin' @ The potato!
(79:52 + DVD, Exowax Recordings, 2011)

Mike Keneally hat einen markanten Stil wie Frank Zappa, Carlos Santana oder Robert Fripp. Sein 'Pech' ist, dass er nicht in der großen Zeit der Rockmusik in den frühen Siebzigern auf die Bühnen stiefelte und weltweit große Erfolge feierte, sondern dass die Nachfolgegeneration dieser Art abgefahren progressiver Musik zwischen Jazz und Rock nicht ansatzweise mehr in der großen Masse zuhört, sondern (im Vergleich zu der exstatischen Masse Musikfreaks in den Siebzigern) nur ein Häuflein Aufrechter. Der musikalischen Qualität tut das indes keinen Abbruch, was Mike Keneally seit 19 Jahren solo und ab 1988 bei seinem Entdecker Frank Zappa erschuf, ist grandios und hat vielfältige Qualitäten. Neben den diversen erheblich abgefahren schrägen Alben der Frühphase gefällt mir persönlich besonders gut das 2000er Album "Dancing", dessen Intensität, Komplexität und kompositorische Dichte in der enorm flüssigen und schier leichthändigen Einspielung nur großartig und besonders sind. Im letzten Jahr veröffentlichten Mike Keneally und Marco Minnemann das raffiniert-großartige JazzRock-Epos "Evidence of humanity", auch die Produktion war wie "Bakin' @ The potato!" im Doppelpack CD+DVD angeboten worden. Und schon wieder legt der Meister der ausgefallenen Komposition ein neues Album auf. CD+DVD live in L.A.'s Baked Potato Club eingespielt. Mike Keneallys Songs sind zumeist eine raffinierte Mischung aus songdienlichen, dabei knifflig extravaganten Vokalparts und rasant und ausgeflippt abgefahrenen Jazz-Prog-Instrumentalpartien. Die 16 Stücke auf der CD (79:52 Minuten) sind ein Ausschnitt aus dem Konzertprogramm, das auf der DVD ausführlicher (20 Songs+) enthalten ist. Allesamt wohlbekannt und in exzellenten Studioversionen auf seinen Vorgängeralben enthalten, viele davon steter Teil seiner vielfältigen Konzertprogramme, in verschiedenen Versionen bekannt, hat die Band am 15. September 2010 erstklassige Arbeit geliefert, und den Stücken eine neue Dimension verpasst. Viele Songs sind nachdenklicher, jazziger, manches hat rasanten Funk, anderes brennt in aufgefahren emotionalen Jam- und Soloexkursionen. Mike Keneally spielt häufig Keyboards (was er nicht weniger gut als Gitarrespielen kann), nicht weniger fiebert er Gitarrensoli. Die strukturelle Gitarrenarbeit überlässt er überwiegend Rick Musallam beziehungsweise Griff Peters. So viele Tasten wie selten sind zu hören, und doch halten die Saiten Gleichgewicht. Am Bass steht natürlich Bryan Beller seinen erstklassigen Part und am Schlagzeug arbeitet das Genie Joe Travers. Der Mann weiß die Felle erlesen zu bedienen, hat Funk und Groove in der Hinterhand, ohne allerdings auf Eingängigkeit zu trimmen. Ganz im Gegenteil ist die technische Spielweise großartig und selbstbewusst, laut und kraftvoll, differenziert und von steter Lust, den Rhythmus zu brechen und umzuformen. Alle Beteiligten (bis auf Griff Peters) singen, Keneally zumeist, die anderen geben den Girlie-Chor oder haben eigene Partien. Mike Keneally hat Songs wie "Kedgeree", "Pretty enough for girls", "Taster", "Potato" und "Chatfield Manor" schon zahllose Male gespielt, das ist den Songs anzuhören, sie sind gewachsen und lebendig, ungemein facettenreich, können alle Stile und schwenken - nur so aus Spaß, weil die drei Gitarren so perfetto zusammenarbeiten - auch mal zum Southern Rock rüber, ackern sich tief und Jam-süchtig durch jazztriefende Gefilde und entwerfen Komplexdonner auf höchstem Niveau. Dazwischen trohnen Funk-Monster wie "MyDilemma", in denen Bryan Beller zu abgefahrenen Soli ausholt. Die ganze Platte ist ein großer Spaß, perfekte Jazzrock-Kultur und absolut empfehlenswert. 5 Jahre nach "Guitar Therapy Live" wurde es wieder Zeit für ein Live-Statement. Was jetzt noch fehlt, sind die Konzerte vom 19. und 20. Oktober 2001 im holländischen Groningen. Aber das kann warten, "Bakin' @ The potato!" lässt keine Wünsche offen. Dazu gehört, dass das Videoprogramm auf der DVD die Band lässig cool und konzentriert und spielfreudig zugleich zeigt, nix dictatorship wie bei Zappa oder Fripp, sondern ganz erlesene Kumpelarbeit perfekter Techniker mit Inspiration, Spielfreude und Hingabe. Ach Quatsch, hört und seht doch selbst!

Volkmar Mantei



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