CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)
Poor Genetic Material - Island noises
(46:16 + 51:29, ProgRock Records, 2011)
Die Arbeit von mehr als drei Jahren steckten Poor Genetic Material in ihr ambitioniertes Doppelalbum "Island noises", welches sich konzeptionell von Shakespeares Theaterwerk "The tempest" inspirieren ließ. Die ausgiebige Zeitinvestition hat sich hörbar gelohnt, denn dieses Werk ist sicherlich das bisher beste und inhaltlich abwechslungsreichste Werk des süddeutschen Studioprojekts um Gitarrist Stefan Glomb und Keyboarder Philipp Jaehne. Mittlerweile in der Kernmannschaft auf Quintett-Größe angewachsen, bei den Aufnahmen zudem durch einige Gäste unterstützt (u.a. durch ex-Beggar's Opera Frontmann Martin Griffiths), gelingt eine überaus harmonische Balance aus ruhigen Parts und melodischer Schöngeistigkeit. Die musikalischen Ausdrucksformen sind eher subtil, denn inhaltlich zu offensiv. Progressiv-sinfonischer Bombast wird sparsam aber sehr effektiv eingesetzt, unterfüttert von ruhigen, zurückhaltenden Passagen, die aber in erster Linie durch das Prinzip "weniger ist mehr" funktionieren. "Island noises" lässt zwar Anleihen an die progressiven 70er und den Neo Prog der 80er erkennen, doch wird hier auf augenscheinliches Wiederaufkochen bekannter Ideen verzichtet. Poor Genetic Material klingen gleichzeitig vertraut, aktuell, aber auch irgendwie sehr eigenständig. Keine typischen Keyboardläufe, vielmehr sachte Untermalung, keine Gitarrenlinien des euphorischen Davonschwebens, sondern Rifffs und Tonabläufe zwischen Rock und gekonnter Verspieltheit. Weiterhin sorgen die wohl dosierten Flötentöne von Pia Darmstädter und der ausdrucksstarke Gesang von Philip Griffiths, sowie ein nie zu offensiver Groove der Rhythmusfraktion Dennis Sturm / Dominik Steinbacher für gut austarierte Haltepunkte beim genauen Anhören. "Island noises" ist kein direkter Schlag ins Gesicht, das Album wartet nicht mit erschlagender Komplexität bzw. kompositorischer Überladenheit und vertrackten Kniffen auf. Trotzdem wirkt hier alles in sich stimmig, trotz der knapp 100-minütigen Länge keineswegs inhaltlich zu aufgeblasen. "Island noises" hat Stimmungstiefe, Ruhe, vor allem aber eine gehörige Portion atmosphärische Melodik und spricht damit ein recht breites Potenzial an Fans an.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2011