CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)

L'Effet Défée - Al trop
(51:12, Privatpressung, 2010)

Es ist nicht gerade so viel, was in den letzten Jahren aus dem Bereich Progressive Rock und seinen angrenzenden Spielarten aus Frankreich kam. Doch bei unserem westlichen Nachbarn setzt sich vermehrt die Plattitüde "Qualität statt Quantität" durch. So waren es Bands wie z.B. Taal, Némo, One Shot oder Neom, die mit den unterschiedlichen stilistischen Ansätzen zwar niemals den ganz großen Durchbruch schafften, aber allesamt mit musikalischer Qualität und Aussagekraft zu beeindrucken wussten. L'Effet Défée sind eine weitere Band, die nicht gerade auf Massengeschmack setzt, aber mit ihrem Album "Al trop" für ein ganz großes Aufhorchen sorgt. Als Genrebezeichnung hat man auf der MySpace Seite "Alternative / Experimental / Rock" gewählt, oder um es anders mit Fachausdrücken zu sagen: hier wird ganz deutlich auf eine Mixtur zwischen Zeuhl, Avant und Chamber Rock gesetzt. Alleine schon die Besetzung des Quartetts liest sich reichlich ungewöhnlich: Sängerin Maude Trutet und Vinciane Tronson an der elektrischen Harfe sind der feminine Teil der Band, das Rhythmusduo Boris Louvet (Schlagzeug) und JB Lebrun (Bass) sind der maskuline Part. Somit erfüllt man nicht unbedingt die Erwartung einer standardmäßigen Viererbesetzung. Doch wer nun esoterisches Geklimper an der Harfe, sowie musikalische Nettigkeiten mit weiblichem Gesang erwartet, wird unweigerlich weggeblasen. Sicherlich, hier und da nimmt sich die französische Band auch sehr zurück und setzt auf sachte Stimmungen und elfengleichen Gesang. Doch bleibt erstaunlich, welche Power aggressive Rhythmen und elektrische Harfentöne erzeugen können. Im Vordergrund steht aber der sehr variable Gesang von Maude Trutet, die sehr oft in sphärischen Höhen weilt, ganz überraschend aber auch die stimmliche Kratzbürste mit manischem Geschreie auspackt. So wandeln die Stücke zwischen liedhafter Leichtigkeit und bedrohlicher, anstrengender Apokalypse. Es wird hier mit der wuchtigen Kraft von eindringlicher Zeuhl Power oder experimenteller Avantgarde, aber auch der Luftigkeit kammermusikalischer Losgelöstheit musiziert. Dummerweise ist dies wieder mal ein Album, an das man nicht so leicht herankommt. Als Vertriebspartner fungiert in der Heimat immerhin Musea, oder man muss über die bandeigene Website aktiv werden. Aber: es lohnt sich unbedingt!

Kristian Selm



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