CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)
Amplifier - The octopus
(62:06 + 58:28, AmpCorp, 2010)
Mit "The octopus" holen Amplifier zum großen Schlag aus. War das Trio aus Manchester in der Vergangenheit vermehrt im gitarrendominierten Alternative Rock mit leichter progressiver Schlagseite am Werkeln, so wurde beim aktuellen Longplayer richtig opulent geklotzt. Nicht nur, dass es gleich ein konzeptionelles Doppelalbum mit knapp 2-stündiger Spielzeit sein musste, auch die stilistische Ausrichtung wurde in jegliche Richtung ausgedehnt. Ob nun klangtechnische Spielereien, ausgiebiger Bombast oder der ständige, unaufdringliche Flirt mit den 70ern, Amplifier sind dieses mal experimentierfreudiger und offener, als man dies auf den bereits guten Vorgängerwerken gewohnt war. Vielleicht auch ein Grund für die neu gewonnene Freiheit: "The octopus" wurde auf dem eigenen, neu gegründeten Label AmpCorp veröffentlicht. Natürlich stehen immer noch die Saiten im deutlichen Fokus, wird hier vor allem mit Atmosphäre, Groove und Dynamik gearbeitet. Diverse Effekte sorgen jedoch für ein recht abwechslungsreiches Klangbild, das mal sehr wuchtig, mal abgehoben abgespact daherkommt. Ein leicht psychedelischer Unterton verleiht den verhallenden Klängen mitunter einen geradezu unwirklichen, nicht von dieser Welt zu scheinenden Anstrich. Der erdige Ansatz verbunden mit cinematischer Weitläufigkeit sorgt für einen das Gesamtwerk verbindenden Spannungsbogen. So stehen gleichberechtigt Songmonolithen jenseits der 10 Minuten neben einfacheren Rockharmonien. Während sich auf den früheren Alben eine gewisse Gleichförmigkeit betrachtet auf die gesamte Spiellänge ausbreitete, sorgen jetzt vor allem die inhaltlichen Variationen, das wohl dosierte Spiel mit Laut und Leise, sowie sorgsam eingestreute Tastenklänge für wesentlich mehr Spannung und Abwechslung. Sofern man nicht auf etwas selbst verliebte Überheblichkeit, einer weiträumigen Soundreise steht, bietet dieses Album jeglichen Kritiken natürlich den perfekten Nährboden, Amplifier aufgrund ihrer eigenen Selbstüberschätzung gehörig abzuwatschen. Für Musikfreunde, die die nötige Zeit mitbringen, Klänge auf sich wirken zu lassen und eben nicht nur schnell konsumierbare Kost erwarten, ist dieses Album jedoch ein wahrer Ohrenschmaus.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2011