CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)
Uz Jsme Doma - Caves
(43:19, Cuneiform, 2010)
Sieben Jahre hat die tschechische Avantrock-Band gebraucht, ein neues Album vorzulegen. Die Eigenart der aus diversen Einflüssen geprägten tschechischen Rockszene geht in der 1989 gegründeten und alle Türen von Anfang an eintretenden Band in vielerlei Spielarten auf. Der Fall des eisernen Vorhangs, in der Tschechischen Republik als Samtene Revolution gefeiert (Tipp: das Prager Museum des Kommunismus direkt in der Innenstadt), kam zum Ende der Achtziger Jahre nicht nur endlich zustande (mögen alle Scheißstalinisten und Co. in der siebten Hölle schmoren bzw. sich schleunigst dahin verziehen), sondern auch in der Popkultur zu einem Wechsel. Die Achtziger Jahre waren in Tschechien (oder besser der Czechoslowakei) längst nicht nur von Pop und New Wave bestimmt, Avantrock-Bands spielten im Untergrund, gaben Konzerte in privaten Wohnungen (!), arbeiteten mit Schriftstellern und politischen Dissidenten zusammen, Punk, Jazzrock, Heavy Metal, Hardrock - alle Stille waren längst noch aktiv, und doch waren New Wave und Pop auf dem Vormarsch, mit der politischen Wende wurde alles anders. Bands und Labels schossen wie die Pilze aus dem Boden (und verschwanden ebenso schnell wieder darin), Geld wurde kaum gemacht, eher viele Schulden, aber die aufgestaute Kreativität entlud sich explosiv. Mittendrin Uz Jsme Doma, die Jazz, Rock, Avantgarde, Punk und alles Rüde und Radikale zu einem neuen Sound verschmoren, der glühte und brüllte. Längst war nicht alles Chaos und Brutalität und so ist es noch heute. Pepa Cervinka (b, voc), Martin Velisek (brushes), Adam Tomasek (tr, voc), Miroslav Wanek (lead-voc, g, p) und Tomas Paleta (dr) haben ihren eigenen Stil, der doch einige Ähnlichkeiten zu anderen Bands ihre Landes aufweist, so hat Michal Pavlícek, der in diversen kleinen und großen Bands schon in den Siebzigern mitspielte, ohne auf LPs der Bands zu hören zu sein, er wechselte stets zu seinen eigenen Ungunsten, 2010 gerade eine 3-CD veröffentlicht, die zwar längst nicht so avantgardistische Tendenzen wie Uz Jsme Doma fährt, aber doch deutliche Parallelen hat, so der krasse Wechsel aus progressiver Spielart in Hardrock oder ins Liedhafte, aus jazziger Nachdenklichkeit in punkige Attitüde. Viele weitere tschechische Bands und Musiker mixen diverse verschiedene Stile locker und bisweilen irritierend zusammen, und finden so zu einem Sound, der markante Züge hat. Uz Jsme Doma rocken schwer, lassen es punkig krachen, haben liedhafte und jazzige Song auf Lager, wissen komplexe Strukturen lässig und elegant, vital und energisch zu beleben, und dies alles in einem und jeden Song. Die Jungs haben Humor, mögen es schräg und fetzig, so sind ihre Songs kaum über 5 Minuten lang, überwiegend kürzer und doch längst kein Mainstream und in keinem Fall billig oder dumm. Nachdenkliches wechselt sich mit Rüdem ab, Rasantes donnert in Hartes hinein, Flottes wird flotter und schnelles schneller, dass die Zuhörorgane im Kopf entzückte Vitamine schmelzen. Die Songs sind eigenwillig, hinreißend aufgebaut und ruckzuck durch ihre Minuten gejagt. Trompete, Piano und Gitarre sind die bestimmenden Melodieinstrumente, was die Rhythmusband macht, will nicht mehr aus dem Sinn. Und in selbst düsteren Stücken, die längst nicht bedrückend oder bedrohlich klingen, muss ein Quäntchen lustvolle Vitalität Humor versprühen, sogar die sphärisch melancholischen Ideen, wie ein Mix aus Jazz und Avant Punk klingend, und schneller und rotziger als anderswo, hat energische Rasanz, als müsste an einem Tag die Welt neu aufgestellt werden. Also: gut!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2011