CD Kritik Progressive Newsletter Nr.71 (04/2011)

Taurus - Opus 1 / Dimensions
(55:16, Mylodon, 2010)

Taurus? Kenne ich, holländische Band, brachten in den späten 70ern ein paar ganz nette Scheibchen raus. Und von denen gibt es jetzt was Neues? Nein! Das vorliegende Album ist kein Bandprodukt, sondern das Solowerk eines gewissen Claudio Momberg. Klingt nicht unbedingt holländisch. Ist auch kein Ex-Mitglied der holländischen Band. Also: den ersten naheliegenden Gedanken beim Anblick des Covers streichen. Das Label - Mylodon Records - legt schon nahe, dass man sich hier eher im südamerikanischen Raum aufhält. Und spätestens beim Untertitel klingelt es dann bei mir: "Seti related search No. 1". Na klar, Momberg ist unter anderem der Keyboarder der chilenischen Progband Seti. Wäre das also schon mal geklärt. Ihm wurde offensichtlich zwischen den Seti-Veröffentlichungen langweilig, und so entschied er sich für die Aufnahme von Solomaterial. Da sich die Zusammenstellung des neuen Seti Albums mächtig verzögerte, konnte er sich hierauf konzentrieren. Und wie der Albumtitel schon nahe legt, ist dies auch solistisch gesehen noch nicht sein letztes Wort. Das Booklet verrät, dass Momberg verantwortlich zeichnet für: "all keyboards, electric and acoustic guitars, bass guitars, orchestrations and drums". Herauszuheben aus dieser Liste sind ganz klar die Begriffe keyboards und orchestrations, denn genau darum geht es in der Hauptsache. Schon der erste Titel, das ellenlange (hm, liest sich fast genauso wie "elend lang", sehe ich gerade), 24-minütige "Movement I: Air" zeigt exemplarisch auf, was den Hörer erwartet. Riesige Keyboardwände, Symphonik-Sound in epischer Breite. Das Ganze kompetent eingespielt, aber speziell in dieser Nummer eben auch ausgesprochen träge und schwerfällig, man kommt kaum in die Gänge, den Begriff Tempo würde ich mit diesem Song eher nicht in Verbindung bringen. Nach ein paar Minuten mischen sich in die Synthi-Wände erst mal ganz schüchtern vereinzelte Gitarrentöne, die aber eher klingen, als ob jemand Keyboardmusik abspielt und dazu leise vor sich hin auf der Gitarre plänkelt, ohne zu merken, dass der Aufnahmeknopf gedrückt ist. Wirkt für mich seltsam deplatziert. Aber genug gemeckert, denn eigentlich ist das Album doch ganz nett anzuhören, vorausgesetzt jedoch, man kann sich als Keyboardfan bezeichnen. So hat auch der Auftaktsong sehr schöne Momente, die Tasten klingen in einem Abschnitt sehr stark nach Tony Banks. Hier bilde ich mir ein, eine gewisse Nähe zur Duke-Phase herauszuhören. Und plötzlich kommt dann auch mal eine E-Gitarre nach vorne, und zwar durchaus mit Wucht und nicht so verschüchtert wie zu Beginn. In den nachfolgenden drei Titeln wird dann auch noch zwischenzeitlich entschieden mehr Fahrt aufgenommen und es klingt nicht mehr nur nach einer reinen Tastenorgie. Stattdessen darf zum Beispiel im Abschlusstitel "Movement IV: Tension" die akustische Gitarre eine wichtige Rolle übernehmen. Nach mehreren Hördurchläufen flachen die anfänglichen Kritikpunkte doch ein wenig ab, so dass, wenn mir der Sinn mal wieder nach Konsum eines Tastenalbums stehen sollte, Chile-Taurus durchaus zur Wahl stehen könnte.

Jürgen Meurer



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