CD Kritik Progressive Newsletter Nr.70 (11/2010)

Roswell Six - Terra Icongnita / A line in the sand
(65:25, ProgRock Records, 2010)

Ich nähere mich unbekannten Projekten ja sehr gerne, ohne mich vorab zu informieren. CD einlegen, Regler auf normale Lautstärke, und am Computer gemütlich weiterarbeiten, während das Objekt zur Beschreibung einmal durchläuft. Und so machte ich das auch mit "A line in the sand" vom Album "Terra Incognita" der Gruppe Roswell Six. Unbekanntes Land eben. Auffallend auf dieser CD sind die gute Aufnahmequalität und die guten Stimmen. Von Anfang an geht die CD nach vorne. Also für mich in die richtige Richtung. Zu meiner zweiten Besprechungs-CD von Deep Imagination ein "leichter" Kontrast. Automatisch sucht man nach Quervergleichen. Arjen Lucassen ist mir seit ein paar Jahren zu brachial geworden. Und da ist "Terra Incognita" sehr wohltuend gegensätzlich. Die Doublebassdrum erinnert manchmal an Mike Portnoy. Die Gitarrenriffs sind feinster Hard Rock. Als ich dann die Besetzungsliste ansah, musste ich schmunzeln. Genau dieser Herr Lucassen singt hier nämlich mit. Insgesamt singen 9! Musiker/innen auf diesem Projekt mit. Alle Instrumente spielt Henning Pauly. Einige Backing Vocals steuert er auch bei. Also Hut ab. Für ein "Soloproject" hört sich die Musik mehr als rund an. Die Gitarrenparts sind schon mal Gefrickel, aber nie so lang, dass es einen nervt. Die beschriebene CD ist ein Konzeptalbum und gehört zu einer Trilogie. "Beyond the horizon" war der erste Auswurf. Ich kenne dieses Album nicht. Daher kann ich nicht entscheiden, ob "A line in the sand" besser ist als sein Vorgänger, oder eben nicht. Erik Norlander war der Keyboarder und Produzent von "Beyond the horizon". Das spricht an sich für Qualität. Und Qualität besitzt auch "A line in the sand". Die Geschichte in diesem Teil handelt von Kriegen, die aufgrund religiösen Eifers ausbrechen. Geschrieben hat das Script Kevin J. Anderson mit seiner Frau Rebecca Moestra. Mister Anderson hat sich als Sci-Fi Autor einen Namen erarbeitet. Diesmal ist als Produzentenduo der Chef von ProgRock Records Shawn Gordon und Henning Pauly angegeben. Aus einer musikalischen Familie stammend ging Henning Pauly von Deutschland nach Amerika und lebt heute in Los Angeles. Die Gästeliste ist mehr als illuster. Im ersten Song übernimmt Steve Walsh die Vocals. Zu Steve Walsh werde ich nicht viel schreiben müssen. Ich gehe einfach davon aus, dass ihr wisst, dass er Sänger und Keyboarder von Kansas ist. Alex Froese von der Gruppe Frameshift singt im Hintergrund. Ein treibendes Schlagzeug und Headbangerriffs mit maurischen Tönen bestimmen dieses Stück. "Whirlwind" erinnert ab und an tatsächlich an Neal Morse, gerade wenn der Refrain immer wieder dieses Wort singt. Dann wird es schmalzig. Aber ein Steve Morse Gitarren Riff erdet dieses Stück dann auch wieder. Die Lead-Vocals bestreiten Nick Storr, der Sänger von The Third Ending, einer weniger bekannte Gruppe, welche bei, oh Wunder, ProgRock-Records unter Vertrag ist und der walisische Sänger Michael Sadler, Gründungsmitglied von Saga. Die Backing-Vocals singt Juan Ross. Er ist mir leider nicht bekannt. Als verwertbare Information habe ich eine Freundschaft zwischen den zwei deutschen Henning Pauly und eben Juan Ross gefunden, die zur Zusammenarbeit auf diesem Outtake geführt hat. Im Song "The crown" röhrt Sass Jordan den Text. Wenn sie mal kein Rockshouter ist. Dieser Song ist eh mein Anspieltipp. Hier sind die stampfenden Beats und ein tolles Gitarrensolo zu hören, was eigentlich das ganze Album durchzieht. In "Loyalty" singt nun also Arjen Lucassen. Sparsam im Hintergrund macht er einen guten Job. In "My fathers son", einem maurisch angehauchtem Hardrocksong singt neben Steve Walsh Ex-Dream Theater Sänger Charlie Dominici. Am Projekt mitgearbeitet hat auch Janis Ian. Sie beendete mit 17!!! ihre musikalische Karriere. Sie hatte 1965, im zarten Alter von 14 Jahren, einen Song geschrieben, in dem es um die Liebe zwischen Schwarzen und Weißen ging. Bis in die 90er Jahre wurde sie deshalb in den USA angefeindet. Eine tolle Rockstimme wurde durch Dumpfbacken am Erfolg gehindert. Mit 21 Jahren begann sie aber wieder, Rocksongs zu schreiben. Die Biographie dieser Frau alleine ist eine ganze Seite im PNL wert. Seht Euch mal die Kurzbiographie unter http://de.wikipedia.org/wiki/Janis_Ian an. Unglaublich! Ich hatte wohl kaum Unrecht, als ich anfangs behauptete, eine illustre Truppe befindet sich auf diesem Konzept Album. Ein Ausreißer ist dabei. Das letzte Lied heißt "Victory". Der erste Teil ist so schmalzig, dass der Song glatt in "Grease" umbenannt werden könnte. Nach knapp 2 Minuten wird es besser, um dann nach fast 5 Minuten wieder schmierig zu werden. Aber um genau 5:30 beginnt ein genialer Zwischenteil. Mit das beste Stück auf der Scheibe. So unterschiedlich kann ein Stück ausfallen. Proggies, die dem Mainstream zugerechnet werden können (ein Widerspruch in sich, oder?) sollten reinhören. Sonst ist dieser Silberling eher etwas für Hardrocker, die Savatage nach ihrer Rockzeit und Uriah Heep vor ihrer Popzeit mögen.

Klaus Bornemann



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