CD Kritik Progressive Newsletter Nr.70 (11/2010)

Nicolas John - The irrevocable need to have dreams
(40:12, Privatpressung, 2010)

Beim ersten Betrachten des CD-Covers hatte ich vermutet, dass es sich bei solch einem Motiv wohl um elektronische bzw. ambiente Musik handelt. So kann man sich mal wieder irren, obwohl Nicolas John alias Niki Hellenbroich auf diesem Output auch überwiegend geschmeidige Töne erzeugt. Der Badener Niki Hellenbroich hat auf sich im Rock- und Progmusikalischen Sektor seit den späteren 80-iger Jahren durch die Band The Formula, 1991 durch eine Soloveröffentlichung sowie sein letztes musikalisches Lebenszeichen von 2001, einer Maxi-CD des Moon Orchestras, aufmerksam gemacht. Diese wurde übrigens von Manfred Mann's Earth Band Gitarristen Mick Rogers produziert, der auch auf den Saiten Unterstützung geleistet hat. Mit geändertem Namen hat Niki Hellenbroich nun im Sommer 2010 die vorliegende Scheibe veröffentlicht, wobei er bis auf die Unterstützung von einigen musikalischen Freunden auf fünf Tracks alles selber komponiert und getextet hat. Als Ergänzung zu elf neuen Eigenkompositionen werden als Schmankerl zum Schluss zwei Stücke von The Formula geboten, wobei für mich der Livetrack "Mothers of the world" einen besonderen Reiz mit mehr groovigen und rockigen Klängen hat. Wie schon einleitend angedeutet, ist Nicolas John wohl ein Freund der sinfonischen, melodischen und auch poppigen Töne. Bei meinem ersten Höreindruck des Eröffnungstracks "Do the walk" wurde ich stark an Pendragon mit Nick Barrett erinnert, wozu auch das Timbre des Protagonisten beiträgt. Allerdings muss ich nach tieferem Eintauchen in das gesamte Werk glücklicherweise feststellen, dass mehr stimmliche Ähnlichkeiten zu Peter Gabriel und vor allem zum niederländischen Sänger Karel Messemaker (u.a. November, Plackband) vorhanden sind. Nicolas John hat eine sehr angenehme Stimme - sie gefällt mir In Ergänzung zum Gesang bedient er auch die akustische Gitarre sowie die Keyboards und lässt sich von vier weiteren Kollegen an den Keys, der Gitarre, dem Bass sowie an den Schlaginstrumenten begleiten. Sie erzeugen auf neun der insgesamt elf neuen Kompositionen überwiegend melodische und balladeske Töne, die bestens produziert und instrumentiert sind. Die mehr mainstreamigen Balladen mit Artpop Anwandlungen lassen dann auch schon mal Erinnerungen an Alan Parsons, The Beatles, Peter Gabriel oder Al Stewart aufkommen. Eine Radiotauglichkeit ist hier meines Erachtens vorhanden. Neben dem Pendragon affinen Eröffnungstrack gefällt mir vor allem die sechseinhalb minütige Komposition "The pact". Hier wird richtig progressiv musiziert, die Rhythmen gewechselt, zuweilen rockt es und auch der Gesang wird schon mal verfremdet. In die Musik werden originale Auszüge bekannter Reden von Willy Brandt, Nelson Mandela, Oscar Romero, Martin Luther King und Mahatma Gandhi eingeblendet, die dem Song eine besondere Note geben. Mein Progherz schlägt direkt höher Auch die beiden Schlusstracks von Nicolas John mit The Formula bereiten mir hinsichtlich ihrer lebendigeren und komplexeren Güte Spaß. Bei "Mothers of the world" handelt es sich sogar um eine fetzige Liveaufnahme von 1990, die mich mit einem abwechslungsreichen Instrumentalpart inklusive ausgedehntem Gitarrensolo an Grobschnitt und auch an Rush erinnert. Leider wird der Track ausgeblendet - ich hätte gerne mehr davon gehört. Insgesamt sind für meinen Geschmack auf "The irrevocable need to have dreams" zu viele gleichförmige liebliche und balladeske Töne zu vernehmen, um an ihnen richtig Gefallen zu finden. Immerhin wissen die vier längsten Tracks mit insgesamt fast 26 Minuten Laufzeit zu überzeugen, sodass ich mir für das Nachfolgewerk mehr in dieser Richtung wünschen würde. Leider ist dies hier bei einer Gesamtlaufzeit von 58 Minuten zu wenig, um richtig punkten zu können. Wobei die Neoproggies mit Freude an gut produzierten gefühlvollen Balladen mit Artpopwürze wohl mehr von der musikalischen Qualität der CD überzeugt sein werden.

Wolfram Ehrhardt



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