CD Kritik Progressive Newsletter Nr.6 (12/1995)

Ageness - Showing paces
(58:11, Privatpressung, 1992)

Es passieren immer noch kleine Wunder, so gesehen mit dieser Veröffentlichung aus Finnland, die auf verschlungenen langjährigen Irrfahrten doch noch den Weg nach Deutschland fand. Ageness glänzen mit gut produzierten und gespielten modernen Prog Rock, wobei kleinere Anleihen an Genesis auch nicht fehlen. Immer wieder erstaunlich, wie manchmal wirklich gute Alben weitgehendst an der Prog-Hörerschaft vorbei erscheinen und erst noch entdeckt werden müssen. Ihr Stil ist eigenständig und kann sowohl musikalisch, als auch kompositorisch überzeugen. Die Instrumente agieren völlig gleichberechtigt nebeneinander und spielen meist erdig-rockige Mid-Tempo Strukturen. Die Soli bleiben immer souverän bei der Melodieführung und fallen nicht durch Sperenzchen auf, fügen sich also harmonisch ins positive Gesamtbild ein. Die schon vorher angesprochenen Anleihen an Genesis finden sich sowohl in Textauszügen ("the musical box"), Gabriel-ähnlichen Gesangseinlagen, kurzen Flöteneinsätzen (bei "Darkness"), wie auch in den musikalischen Inhalten wieder. Wobei es sich eindeutig um kein Kopieren handelt, man aber trotzdem den Kompositionen deutlich anmerkt, dass die Songschreiber viel Genesis gehört haben. Das führt soweit, dass sie bei "Revelation" Gruppen wie Marillion, It Bites oder Twelfth Night ironisch vorwerfen, dass sie als Kopien und Ersatz von Genesis völlig versagt haben. Um dies zu unterstreichen, wird zum Ende "I know what I like" zitiert, wobei sich Ageness recht gekonnt aus der Affäre ziehen. Das Album bietet durchweg gleichbleibend gutes Niveau, als absolutes Highlight sticht aber trotzdem das Instrumental "Seven down" heraus. Abwechselnd bieten Gitarre und Keyboards solistische Einlagen, die weitgehendst melodisch bleiben, aber durch Virtuosität und Komplexität dem Song den letzten Kick geben. Hätte das ganze Album dieses atemberaubende Niveau, wäre "Showing paces" in der Rangliste meiner persönlichen Lieblingsplatten des Jahres sicherlich noch weiter oben. Ageness präsentieren somit die zeitgemäße Weiterentwicklung des Neo Prog der 80er Jahre, weniger verspielt und nicht mehr zu verwurzelt mit den Vorbildern der 70er. Die Betonung geht mehr Richtung Rock, ohne jedoch nur platte Melodien zu bieten, sondern auch mal Kanten und Ecken zu haben, die sich aber gut ins Gesamtbild eingliedern. Ein Geheimtipp, den man sich auf jeden Fall anhören sollte, sofern sich die Möglichkeit dazu bietet.

Kristian Selm



© Progressive Newsletter 1995