CD Kritik Progressive Newsletter Nr.69 (07/2010)
Amon Düül II - Bee as such
(52:19, Privatpressung, 2009)
Zuerst nur große Irritation. Nicht über das Selbstverständnis, als Amon Düül 2 wieder eine Platte zu machen, die erst einmal online zu bekommen ist und noch kein fertiges Cover hat; nicht die instrumentale Musik, nicht der drahtige Stil der Band, die psychedelisch sphärischen Songstrukturen, alles überraschend und nicht ohne Fragezeichen hinter den Augen und Ohren, aber in der heutigen retrospektiven Zeit durchaus nachvollziehbar, auch genau dieser Stil, die langen Songs, die Orientierung weg von Pop & Co., hin zu so etwas wie authentischem Sound, freiem, eigenem Stil. Alles OK, alles hinnehmbar, nachvollziehbar. Wenn die Jungs und Lady Krötenschwanz auch längst nicht mehr die ganz knackfrischen Teenies sind und als Altrocker da vorn auf der Bühne rocken, dass die Enkelgeneration in der ersten Reihe oder im VIP-Bereich cool und lässig von sich behaupten kann, den coolsten Rockopa, die wildeste Rockoma zu haben. Alles nicht doof oder blöd. Ganz im Gegenteil, lustig, witzig, mitreißend, überraschend, kritisch gar und längst nicht aufgesetzt. Aber: was Gesang ist, und wie er gesungen ist, hat hier, da und dort manchen Überschlag und kräftige Überreaktion, dass mir der Angstschweiß ausbricht, gerade wenn Renate Knaup-Krötenschwanz zu abgefahrenen Gesangsexpressionen aufbricht. Gut und böse sind da keine Parameter zum Verständnis. Muss wohl einfach so hingenommen werden. Chris Karrer kann ebenso revolutionär wild, und beide Sanges- sowie Sprechkünstler mit ihrem Lebenshintergrund und den Jahren in der Rockerabstinenz und Existenzbürgerlichkeit wirken hinter der Anzahl ihrer Lebensalterzahlen befremdlich und mutig zugleich. Punk-Kraut-Psychedelic-Sound, der keiner ist, aber so klingt, und so gesungen ist. Amon Düül 2 sind heute wohl so etwas wie Avantgarde Rock, schräger, extravaganter Sound, nicht zu vergleichen mit der Popmusik, die zuletzt (...), vor 28 Jahren so auf einer ihrer Durchschnittsplatten zu haben und hören gewesen war. Die Band klingt nüchterner, erwachsener und grandioser als, doch, zuletzt. Da ist nix zu heftig oder zu schräg, es gibt keine progressiven Komplexe oder Jazzphantasien, dafür aber locker und saftig brodelnden Unabhängigkeitsrock, der Geige, Gitarre, Bass, Saxophon und Schlagzeug in locker freien Arrangements vereint. Panta Rhei ist das instrumentale Motto, alles fließt, der Rhythmus federt episch voran, die Instrumentalisten ziehen mit verspieltem Klang und taffer Spiellust mit. Es groovt ohne nähere Popseligkeit, aber mit witzig eingängigen Soundspielereien, die das Hören unterhaltsam machen. Nichts wie jemals zuvor. Auch nicht wie in der 'guten alten' Zeit, und gewiss genießen die Recken samt ihrer Königin heute das frische Erwachen ohne das verlorene und verkorkste Gefühl, nicht zu wissen, welcher Planet zu welcher Zeit gerade existiert. Nach Drogen klingt hier nix, vermutlich würde das das körperliche Innenleben der angejahrten Rockfreakhelden auch weniger zulassen. 4 Songs umfasst das Album, lange Tracks, 8, 9, 8 und 26 Minuten lang. Renate Knaup-Krötenschwanz (voc), Lothar Meid (b, voc), John Weinzierl (g, voc), Chris Karrer (g, vi, ss, voc), Danny Fichelsher (dr), Jan Kahlert (perc) und Gerard Carbonell (b) sind die aktuelle Besetzung. Das Hippiefestival hat gewiss für Inspiration gesorgt, nicht weniger sein Programm als sein Publikum, und gewiss die Weltraumcombo Gong, vielleicht sogar deren düsteres Äquivalent Magma, wenn die Franzosen auch kein Gran Parallele haben, aber doch schlicht und bekannt existieren. Wie aktuell unzählbar viele andere Alt- und Uraltbands, die mit oder ohne neuem Album wiederbelebt sind, auf der Bühne mit neuer alter Musik musizieren oder vor den Mikrophonen mitgealterter Zeitschriften und Journalisten ihre Lebensgeschichten samt Geheimnissen und Abgründen preisgeben. Wie dem auch wie sei. Es gibt sie wieder als Band, sie haben 4 Songs eingespielt und das 26 Minuten lange Monster nach den drei eher konkreten Stücken freakt und spact nostalgisch ohne Patina entspannt vor sich hin. Gut ganz alles. Und was Gesang, läuft mit jedem Durchgang besser und klingt - normaler - nicht mehr so arg irritierend wie zuerst, beim ersten Hören. Jetzt warten sie wohl ab, was an Reaktionen zurückkommt, ehe sie ihr Selbstbewusstsein ganz auspacken und alle Bühnen stürmen.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2010