CD Kritik Progressive Newsletter Nr.69 (07/2010)
Eskaton - 4 visions
(75:02, Soleil Zeuhl, 1981/2010)
Das Reissue des in den Jahren 1978-79 aufgenommenen "4 visions" auf Soleil Zeuhl ist von der Band autorisiert und begleitet, von Reglermeister Udi Koomran remastert und um 4 Bonustracks ergänzt, die in den Jahren 1984-85 aufgenommen wurden. Das Album bekam ein neues Artwork (Thierry Moreau) und wartet mit einem gut gebauten Booklet auf, das die Texte der Songs enthält, (fast) vollständig in Französisch geschrieben wurde und schlicht sehr 'schick' ist. Wie hätten Eskaton geklungen, hätte es Magma nie gegeben? Wären die Zeuhl-Jünger im dramatisch heftigen Jazzrock aufgegangen? Ist zu vermuten, so, wie der Sound aufgebaut ist. Eskaton machten Zeuhl sehr nah an Magma und doch ganz anders. Die Handwerker und komponierenden Köpfe sind andere, und damit ist der Sound ein anderer. An den ganz großen Bands lässt sich Unerreichbarkeit denken. Und doch kommen Eskaton in Inspiration und stilistischer Tiefe ihrem großen Vorbild nahe. Anders als heutige Zeuhl-Bands wie Neom, Setna oder Xing Sa waren Eskaton Ende der Siebziger Anfang der Achtziger Jahre nicht in die runderneuerte und gefestigte, selbstbewusste Szene gebettet. Heute arbeiten Jazzrock- und Zeuhl-Bands wieder energisch, brachial, extrem, hart, und mit starkem Selbstbewusstsein, abgefedert durch eine besessene Fangilde, der Popszene und sonstiger Industriemusikmüll herzlich egal ist, die ihren Ikonen und deren Nachfolgern den streichelnden Applaus geben, sie aufputschen, schräger, härter, extremer, brachialer, intensiver zu musizieren; und von Websites, Independent Plattenfirmen und Zeitschriften unterstützt. Das war damals, Ende der Siebziger Anfang der Achtziger ganz anders. Die Umgebung war für Bands wie Eskaton feindlich, sie waren ewiggestrige Langhaarige, die diesem scheußlichen Extremsound anhingen, der längst verdaut und out war, die breite Masse belächelte die Freaks und Musiker als bekloppte Idioten, die keine Ahnung von Fortschritt hatten. An Hand Eskatons Karriere lässt sich leicht nachvollziehen, wie die Außenwirkung war. Der Druck war groß, die Szene nicht selbstbewusst und längst nicht gesellschaftlich gebettet wie heute, Freaks waren gegen das System und gegen alles, sie gruben sich mit ihren Platten ein, Konzerte waren Messen im eigenen Geiste. Auch heute ist die Szene, die Zeuhl verehrt, klein, aber ganz anders geerdet. Eskaton spielten gegen Widersprüche an, die heute längst ausgeräumt sind und haben eine kulturelle Bedeutung, die weit mehr ist als Futter für abgekapselte Freakgilden. Jedes ihrer Alben zeigte sich poppiger und eingängiger, zeitgeistiger, freundlicher der Öffentlichkeit gegenüber, weniger avantgardistisch. Heute ist das anders. Magma sind zu ihrem ursprünglichen Sound zurückgekehrt, One Shot arbeiten jedes Album hart und intensiv aus, nicht anders als Neom, Amygdala, Xing Sa und Bands aus artverwandten Szenen wie Progressive Rock und Jazzrock. Undenkbar, dass eine der genannten Bands zu Diskomusik mutiert, Pop oder Dance macht und sich damit in der Szene Erfolg versprechen könnte. "4 visions" war bereits auf CD veröffentlicht worden, auf Ad Perpetuam Memoriam. Das Label gibt es längst nicht mehr, und Eskatons Album in der CD-Veröffentlichtung APMs zu finden, dürfte nicht ganz leicht sein. Der Klang beider Auflagen ist entscheidend unterschiedlich. Die remasterte Soleil Zeuhl Auflage hat einen sensibel remasterten Klang, nicht aufgepowert und fett, sondern jeden Ton seinen freien Raum bietend. Udi Koomran hat ganze Arbeit geleistet, das gilt auch für die Bonustracks, die mit 5 bis 7 Minuten deutlich kürzer sind als die 4 "4 visions" - Tracks, sich stilistisch aber kaum unterscheiden, nicht die ganze Dramatik und Heftigkeit der ersten Songs haben, aber immer noch intensiv und heftig sind. Eskaton haben nicht die Schlagzeugdramatik Magmas, ihre Gitarristen fuhren nicht so energisch auf, aber sie spielten keinen leichten Sound. Bass und Gesang sind zeuhltypisch und stilistisch führend, was instrumental und lautmalerisch vokal wie mit konkretem Gesang passiert, hat große Klasse und überzeugt schnell. Der letzte Bonustrack fällt stilistisch ab, die quäkigen Keyboardsounds und die etwas weichgespülte Klangsprache des gut komponierten Stückes trüben das gute Bild. Aber nichts ist hier fehl am Platz, auch der letzte Bonustrack erfüllt noch hohe Ansprüche, wie dies die "4 visions" Tracks mit Leichtigkeit tun. Zeuhl-Süchtige werden sich das Album ohne Frage wohl zulegen müssen, zudem sollten Avant-Prog-Freaks und Jazzrock-Abhängige sich in den Schallkosmos der Eskaton-Kobaianer begeben. Soleil Zeuhl hat mit "4 visions" (endlich) den Kosmos des exklusiven Eskaton-Reigens auf zukunftssichere Beine gestellt, nach "Fiction" und "Ardeur". Und übrigens - jede Veröffentlichung des Labels ist die Aufmerksamkeit nur unbedingt wert!
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2010