CD Kritik Progressive Newsletter Nr.67 (12/2009)

Kumina.org - Entropia
(45:56, Privatpressung, 2009)

Da weiß man gleich, wie die Webseite heißt (die lustig billig aussieht und auch so funktioniert). Progressiver Jazzrock, technische Orientierung. Jukka Packalén spielt wie Chris Squire in der großen Zeit, heftig, hart, voluminös, melodisch abstrakt und unentwegt farbenfroh unterwegs, in vier Songs schwingt er zudem die elektrische Gitarre, was er nicht minder gut tut und damit den abstrakt groovenden Songs eine weitere heftige Facette abgewinnt und zudem illustre Soli einzustreuen weiß. Ahmed Ahonen geht mit dem Bass vielfach unisono, oftmals auch mit sich selbst, wenn er untere und obere Spuren parallel spielt oder verschiedene Tasteninstrumente gleichzeitig bedient. Matti Kanerva ist der Unruhepol der Band, er rattert, tuckert und mördert ohne Unterlass. Seine "normalen" Strecken sind nervös aufgefächert, kaum, dass er die Sticks still halten kann oder die Fußmaschine mal eine Sekunde vergisst. Doch wenn er mit seinem von der Band begleiteten Solo dran ist, bleibt nur ein Vergleich und der ist deutlich: Billy Cobham zu besten Mahavishnu Orchestra Zeiten. Auch Jukka Packalén kann Mahavishnu und soliert sich feinstens mit allerlei verfremdenden interessanten Sounds durch die solistisch heftige Strecke. Hier und dort macht das Trio mal auf witzig-schräge Kneipenunterhaltung, aus Jux und Tollerei, um im Anschluss die Klassikcombo im The Nice Stil zu geben, ohne jedoch ihre Soli und Wahnsinnsausflüge zu vergessen, die das muntere Geschehen einmal mehr munter machen und vom Ideenreichtum des Trios sprechen und seiner illustren Denkungsart, die Normalstrukturen in Richtungen zu verlassen, die so selten und stets überraschend bis verblüffend gedacht und getan sind. Da rast die Orgel mal im besoffenen Jon Lord Spiel durch die klassisch melodische Landschaft, bis vertrackter Jazz sich balladesk anschließt, die Band für einen Moment blumig rumklimpert oder in eine andere deftig-schräge Richtung geht. Zwischen Jazzrock, hartem Old School Rock und Avantgarde Kitsch geht alles, was Spaß und Laune macht. Klingt partiell, als würden freche Bengels Deep Purple im Italoprog Stil spielen, um dann aber lieber ins skandinavische Feld zu wechseln, was im britischen gar kein Prog wäre, sondern... ja, was nur?!? Alles ist möglich, seit Pekka Pohjola (R.I.P.) auf die Welt gekommen ist. Und so klingt der Sound des Trios entspannt und heftig zugleich, intensiv und lässig, gut "unterwegs" mit vertrackten Takten und unablässigen Themenverschiebungen, Dynamisierungen und Rhythmusverschleppungen, die noch diese Idee, jenes Minisolo und dann auch den witzigen Kitschpart unterbringt, der sonst nur im Plastikradio in der Küche ertönt, wo geputzt wird nach dem großen Fressen. Mittlerweile ist das Trio vergrößert, doch Frederik Söderholm (fl, key, perc) und Matti Äijänen (g) waren hier noch nicht mit von der Partie. "Entropia" ist das Debüt der Jungs aus Helsinki, und hoffentlich bleibt es nicht lang allein. Wer noch mehr will kann in der Zwischenzeit Museas "Tuonen Tytär II" anhören, ein 3-CD Tribute an den klassischen finnischen Progressive Rock, wo die Jungs mit einem Stück am Ball sind.

Volkmar Mantei



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