CD Kritik Progressive Newsletter Nr.67 (12/2009)
Hatfield And The North - Hatfield And The North
(60:18, Esoteric Recordings, 1974)
Hatfield And The North - The Rotters' Club
(62:23, Esoteric Recordings, 1975)
Mensch, das hat ja gedauert! Gute 20 Jahre ist es her, dass die beiden klassischen Alben der Canterbury Band bei Virgin Records auf CD veröffentlicht wurden. Nun also die Neuauflage bei bei Esoteric Recordings. Sowohl optisch als auch klanglich überzeugt das Update. Zwar sind die Bonustracks weitestgehend identisch mit denen der bisherigen CD-Fassung, mit "Your majesty is like a Cream Donut incorporating Oh what a lonely lifetime" gibt es aber doch ein Stück zu hören, dass bisher nur auf dem Virgin Sampler "V" den Vinyl-Sammlern zugänglich war. Im Gegensatz zu der sehr lieblos auf den Markt geworfenen Erstauflage klingt die Musik jetzt wesentlich klarer, detailreicher und dynamischer, also eine klare Kaufempfehlung selbst dann, wenn die beiden Scheiben bereits im Regal stehen sollten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich Mitte der 1990er Jahre zum ersten Mal Hatfields namenloses Debütalbum aus dem Jahr 1973 im Plattenladen entdeckt habe. Um ehrlich zu sein kannte ich die Band damals gar nicht, geschweige den die Existenz einer "Canterbury-Szene". Vielmehr war es der seltsame Bandname sowie Songtitel wie "Gigantic land crabs in earth takeover bid", die irgendwie meine Fantasie anregten. Als ich dann im Innencover noch das Bild der langhaarigen Band zusammen mit Hoss, Litte Joe, Adam und "Pa" aus der Fernsehserie "Bonanza" sah, war mir klar: Genau meine Band! Und tatsächlich, ganz selten hat mich eine Musik so sehr umgehauen, wie das bei dieser Scheibe der Fall war. Ich weiß noch, wie ich zu der Musik wie wild herum gehüpft bin vor lauter Freude, dass es so etwas Geniales gibt! Und heute, fast 15 Jahre später? Den Plattenladen gibt es nicht mehr. Müller- und Mediamarkt, dann das Internet mit Ebay und Amazon haben den kleinen Laden fertig gemacht. Die Musik jedoch ist geblieben und begeistert wie am ersten Tag. Wunderbar melodisch, fast poppig, schlägt die Musik plötzlich um, wird freier und experimenteller. Wilde Jazzimprovisationen, dann plötzlich wieder ruhige, relaxt swingende Passagen. Auf dem Song "Calyx" steuert Robert Wyatt als Gast seinen phänomenalen Gesang bei. Ideen kommen und gehen. Das erste Album ist wie eine kreative Explosion. Kaum hat sich ein musikalisches Thema herausgebildet, wird es wieder verworfen und durch einen neuen Geistesblitz ersetzt. Mit dem Ideenreichtum dieses Albums füllen andere Bands ein halbes Dutzend Veröffentlichungen! Die Arrangements sind voller klanglicher Abwechslung. Neben Richard Sinclair (Bass, Gesang), Phil Miller (Gitarre), Pip Pyle (Drums) und Dave Stewart (Keyboards) sind es vor allem die wunderbaren "Northettes" (Amanda Parsons, Barbara Gaskin und Ann Rosenthal), die mit Ihrem elfenhaften Gesang der Musik ihren einzigartigen Stempel aufdrücken. Wenn es überhaupt etwas zu bemängeln gibt, dann vielleicht dass manche Idee zu kurz ausgearbeitet ist. Den 15 Albumstücken haftet somit etwas fragmentarisches an. Ich persönlich hätte mir gewünscht, manche Idee etwas ausgearbeiteter zu hören. Auf dem Nachfolgealbum "The Rotters' Club" von 1975 ist genau das der Fall. Das Album bietet zwar einen vergleichbaren Ideenreichtum, die Songs wirken aber besser strukturiert und ausgereifter. Das wunderbare "Share it" ist ein melodischer und gutgelaunter Start. Danach folgen drei typische Canterbury Jams, in denen die Band ihre improvisierte Seite ausleben kann. "Fitter Stoke has a bath" ist ein erweitertes Remake einer früheren Singleauskopplung, melodisch und humorvoll. Ein weiteres Highlight des Albums ist das herrlich lyrische "Didn't matter anyway". Richard Sinclair hat hier eine gesangliche Sternstunde und Gastmusiker Jimmy Hastings steuert ein Herz zerreißendes Flötensolo bei. Danach folgt mit "Underdub" ein schönes Beispiel für leichten, beschwingten Jazzrock britischer Ausprägung. Den Abschluss des musikalischen Gourmet Menüs bildet das über 20-minütige "Mumps". Hier werden nochmals alle Elemente des Canterbury Sounds zelebriert. Leider litt die Band an chronischer Finanzknappheit, so dass nach diesen beiden Alben Schluss war. Es folgte mit dem "Afters" Album noch ein Sampler, der neben Albumhighlights auch Singletracks und Liveaufnahmen wie den Klassiker "Halfway between Heaven and Earth" enthielt. Diese Stücke sind als Bonus auf den beiden CD-Veröffentlichungen verteilt. Im Jahr 1990 fand die Band für einen Fernsehauftritt nochmals zusammen, diesmal mit Sophia Domancich an den Keyboards. Ein Live-Album sowie ein Video des Auftritts existieren. Eine längerfristige Reunion mit dem neuen Keyboarder Alex Maguire sollte 2005 gestartet werden. Leider beendete der allzu frühe Tod Pip Pyles im August 2006 weitergehende Pläne für ein neues Album. Was bleibt ist das Vermächtnis einer Band auf Tonträgern, die sich nie um kommerzielle Kompatibilität geschert hat, stattdessen stets ihrer eigenen musikalischen Vision gefolgt ist. Zwei unverzichtbare Meisterwerke progressiven, jazzigen Rocks, die in jede Sammlung dieses Genres gehört.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2009