CD Kritik Progressive Newsletter Nr.67 (12/2009)

Diablo Swing Orchestra - No.2 Sing along songs for the damned & delirious
(48:19, Ascendance Records, 2009)

Der Titel ist Programm. Die völlig durchgeknallten Schweden - (was sonst) - Kapelle schnipselt aus diversen Stilen, so Swing, Metal, Zirkusmusik, Country, Zigeunerweisen, Kabarett, Tango, Klassik, Comic, Cartoonmusik, Progressive Rock, Oper, Jazz, Latinjazz, Irgendwiepop, italienischem Macho-Folk, russischen Säuferliedern und anderen lustigen Weisen - was vergessen? - allerlei mit Verve verquicktes Musikgut zusammen, das nix traurig oder düster ist, sondern die Welt fröhlicher, übermütig und unvorsichtig machen, ihre Hörer verzaubern und verführen will - und das auf Anhieb schafft. Wer solcherart Musikstil gewöhnt ist, die Songs gehört und keinen Bock drauf hat, sollte sich mental auf Mohrrübenwurzeln von oben einstellen. Dem ist nix zu helfen. Zwei Sänger: er der gentile Macho, coole Typ, sie die Operndiva, erzählen so manche Geschichte in den Songs, singen, wohlgemeint. Irgendwo zwischen Sprechgesang und melodischem Gesang findet das statt, was die beiden von sich geben. Die Lyrics liegen dem dünnen Promoteilchen nicht bei und sind in der lauten Dichte der Musik nicht schlüssig nachzuvollziehen, so dass dazu nichts zu sagen ist. Vermutlich werden da untote Menschen zersägt, Gärten umgegraben und Blumenbeete bestellt. Die Songs zu beschreiben ist eine Verzweiflungstat für einen Doktoranden, der manches vergeigt hat und an der wahrscheinlichen Bruchstelle seiner verwehten Karriere steht. Alles ist drin, verrückt und mit rastlosem Humor vermixt, schön hart metallisiert, rhythmisch akzentuiert und lebhaft beschwingt, die Musik ist eingängig und kantig zugleich und kann dem Großpublikum gefallen, wenn sie denn die Chance hat, über den "Underground" hinaus gehört und empfangen zu werden. Der Herkömmliches und Ausgeflipptes verbindende Stilmix hat die Gene seines Inhalts nicht beschädigt, sondern ihm die abgefahrenen Moleküle entnommen. Das teuflisch beschwingte Orchester arbeitet extrem heavy und druckvoll, stets den Freakfaktor betonend. Handwerklich-technisch ist die Einspielung eine künstlerische Meisterleistung. Mal ist so ein Song äußerst eingängig, dann vor den Kopf stoßend, stets nett komplex und die Themen schneller als jede Unterhose wechselnd und von einem schier unübertrefflichen, beängstigenden Überraschungsreichtum. Klingt, als hätte die Kapelle kein Problem gehabt, den Ton so locker und frisch hinzukriegen, so witzig, mitreißend, fröhlich und Bulldozer-selbstbewusst wie der Sound aus den Boxen spritzt. Manchmal übertrifft die Band in ihrem Anliegen sich selbst, dann geht der Gaga-Faktor noch ein paar Schritte über den Abgrund hinaus, nach der Ulkigkeit wird es deppert. Kann jemand dazu einen Comicfilm drehen? Bitte!!! Die Hoppe Hoppe Reiter Musik ist kühl berechnet und in Leidenschaft entzügelt. Die wilden Krieger auf dem Schaukelpferd, in der rockmusikalischen Nachfolge des Ritters von der Kokosnuss, spielen die Schlacht auf dem Videospielschlachtfeld. Schießen die festgefahrenen Vorstellungen des Publikums ab, wie Musik zu sein und klingen hat. Zugleich setzt die Band auf Erfolg, zu eingängig und flutschig sind ihre Arrangements, zu genial auf wache Ohren und hungrige Hörer entworfen, zu harmonisch und lebhaft, als dass sie nur Avantfreaks gefallen würde. Der diabolische Humor hängt zwei Etagen über normal, ist clever und keineswegs blöde, sondern Ideenrausch und Leidenschaft pur. Nie mehr aufhören damit!

Volkmar Mantei



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