CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)
Mangrove - Beyond reality
(67:43, Mangrove Music, 2009)
Das holländische Symphonic Prog Unternehmen liefert genau den Sound - und die Qualität - die von einer gestandenen Band wie Mangrove zu erwarten sind. Wohl durchdachte und vielschichtig ausgetüftelte Kompositionen, reichhaltige instrumentale Bombastepen, komplexe und doch nachvollziehbare Songstrukturen, markante Gesangslinien und Refrains, die beim fünften Hören zum Mitpfeifen animieren. Mangrove enttäuschen nicht. Im Gegenteil, sie erfüllen alle Forderungen, die ihre Fans von ihnen erwarten und fallen mit der Tür ins Haus: Opener "Daydreamer's nightmare" ist 14 Minuten lang und geht runter wie Öl, gleich drauf kommt "Time will tell". Eine 18 Minuten lange Neo Prog-Orgie, verschachtelt, schöngeistig, facettenreich, klug und locker inszeniert. Es folgen 4 weitere Songs, darunter zwei weitere Longtracks, die CD bringt es auf 6 Songs, ist 67 Minuten lang. Roland van der Horst (g, voc), Joost Hagemeijer (dr, voc), Pieter Drost (b) und Chris Jonker (key) haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben, drei Jahre intensiver Arbeit in die Songs investiert. Es kommt keine Langeweile auf, es gibt ständig neue Sounds und Klänge zu entdecken. Die Songs flutschen in die Gehörgänge, in den Bauch und machen Wohlgefühl. Und doch. Der gute Eindruck verfliegt, wenn die Platte aus ist. Trotz aller markanten und raffinierten Themen ist es schwer, die Songs zu speichern, sie abzurufen, ohne sie zu hören. Aus der Erinnerung ein Gitarrensolo, eine bestimmte raffinierte Pointe noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und dieses ganz bestimmte Wohlgefühl dabei zu empfinden, das diese Reflektion vermitteln kann. Vielleicht liegt das gerade an der Eingängigkeit, der rockenden, geradezu polternden Schwere der Songs. Der Bandsound hat Hard Rock-Anteile, viel Melodic Rock und komplexen Progressive Rock. Nein. Es liegt nicht an der Band, dass "Beyond reality" in aller Qualität irgendwie neben allem Boah!-Gefühl auch einen faden Nachgeschmack hat: es liegt daran, dass der Sound, den die Band zelebriert, in den letzten Jahren von unzähligen Bands weltweit favoritisiert wird. "Beyond reality" ist ein fabelhaftes Album, und es steht im stilistischen Aufbau nicht allein. Es sind etliche Alben dieser Spielart, die fast die gleichen Keyboardsounds und Songaufbauten haben - auch wenn alle Songs unterschiedlich sind, sie ähneln sich. Bands und ihre Songs grenzen sich von szeneverwandten anderen Bands nicht so weit voneinander ab, dass der Sound und der Bandname absolut markant so zusammenpassen, dass eine Verwechselung mit einer anderen Band ausgeschlossen ist. Das schmälert nicht die Qualität der Musik. Doch für die Fangemeinde ist es wie ein verfetteter Körper, der zuviel von allem hat, in dem längst nicht mehr alle Nahrung verdaut, alle Information verbraucht werden kann. Vielleicht ist es ungerecht, gerade Mangroves tolles neues Album mit diesen Gedanken zu konfrontieren. Doch nein. Es müssen die guten Alben sein, die kritische Gefühle besonders aushalten können müssen. Es wäre ungerecht, ein weniger gutes Album, oder ein wahrhaft schlechtes damit zu konfrontieren und ihm damit eine letzte Ehrenrettung zu bieten. Es würde bedeuten, dass es einem guten Album ebenbürtig wäre und also nicht unnütz. Für ein gutes hingegen bedeutet es, dass die Band Qualität bewiesen hat, aber noch nicht im eigenen, unverwechselbaren Sound angekommen ist.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2009