CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)

Kings Of Belgium - Unchained melodies
(58:40, Still / Off, 2009)

Wer "Yesterday" von den Beatles mal in krasser Schräglage hören möchte, im mordsatonalen Avantgarde-Rock, der, und nicht nur der, und nicht nur die, sollte sich um dieses feine Album bemühen und den ersten Part des zweiten Tracks studieren. Anschließend das ganze grandiose Album. Kings of Belgium sind Pierre Vervloesem (g), Gil Mortio (b) und Didier Fontaine (dr). Das belgische Trio hat an zwei Tagen im August 2007 die 8 zumeist so um die 8 Minuten langen instrumentalen Tracks aufgenommen, deren vokaler Stimmanteil aus eingestreuten Samples besteht, und deren Dynamik von brachialem, exorbitantem Lärm zu ambienter Stille reicht. Doch wer meint, hinter Songs wie "All about incompetenz" oder "All about boys music" (alle Songs beginnen mit: "all about...") steckten Industrial-Lärm oder alternativer Zeitgeist, der irrt gewaltig. Das Wort "progressive" ist so ausgelutscht wie ein Feuerwehrschlauch nach dem Einsatz, aber hier darf es gern wieder einmal passend benutzt werden. Die Urväter dieser Musiksprache, Urväter will meinen, dass die Kings of Belgium relativ sehr weit davon entfernt sind, heißen King Crimson und Frank Zappa. Wobei beide Vergleiche gewaltig hinken, vielleicht noch eine deutliche Zutat Ruins eingeflossen, viel R.I.O., nicht wenig anarchischer Humor, tonnenweise radikaler Jazz - und es passt schon besser. Und das Beste, es rockt! ROCKT!!! Nix Silencium, die ambienten Parts sind schön jazztriefend, dick vollgetrommelt, und vom A Group, X-Legged Sally oder Pierre Vervloesem solo bekannten Brummelbass eccelente zugedröhnt. Was Pierre Vervloesem an den Saiten zaubert, kann kaum in zwei Tagen entstanden sein. Keines der Stücke war vorher komponiert, das Trio ging "unvorbelastet" ins Studio und holte raus, was drinnen war. Kaum zu glauben: die sperrigen, komplexen Songs, das illuster radikale und inspiriert melodische Gitarrenspiel mit den unzähligen Überraschungen, sound- und harmonietechnisch - definitiv sind die Könige von Belgien, diese zumindest, geniale Künstler mit Sinn für Harmonie, Rasanz, Rockhärte, Jazzfluten und atonale Bruchlandschaften - haben derart feine Struktur, dass Improvisation aus dem Stand heraus fast schon ein wenig Poser-mäßig scheint. (KoB: Wir haben's drauf.) Pierre Vervloesem hat angekündigt, in der Zukunft ständig verrückte Alben zu veröffentlichen, und keines soll klingen, wie das andere. Letzteres hat er in der Vergangenheit bereits bewiesen, nicht nur stilistisch gehen seine Alben weit auseinander, es scheint, mal abgesehen vom Gitarrenspiel, niemals die gleiche Band dahinter zu stecken. Angekündigt wird die Platte übrigens als Atomic Jazz-Punk-Disco-Reggae Pop-Thrash Core Music, bevor ich da am Ende bin, habe ich den Anfang schon wieder vergessen. Ist Quatsch, das Teil ist PROGRESSIVE at it's finest, hardest and weirdest. Macht ungemein Laune - und erschlägt nicht. Bitte zulegen!

Volkmar Mantei



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