CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)

In The Country - Whiteout
(73:58, Rune Grammofon, 2009)

In The Country sind Morten Qvenild (grand p, synth, Rhodes, prog, voc), Roger Arntzen (double b, voc) und Pål Hausken (dr, perc, Dynacord Percuter, voc) zusammen mit Andreas Mjøs (g, vib, mar, vi, prog, perc). Draußen in der Natur bedeutet im rockmusikalischen Norwegen nicht selten in der tiefsten Düsternis, in schwelgerischer Schwere und melancholiesüchtiger Molllastigkeit. Die 6 Songs auf "Whiteout" bestätigen das in 74 ausgedehnten Minuten, die lange brauchen, um laut und erregt zu werden und sich genüsslich Zeit lassen, nach den dann intensiven Verwirbelungen wieder zu Entspannung zu finden. Pianist Morten Qvenild hat sämtliche Songs geschrieben und steht mit seinem Instrument, dem Grand Piano, im Zentrum aller Stücke. Opener "From the shore" fließt zäh und träge dahin, lange nur solo vom Grand Piano gespielt, wie ein Flug über neblig-düstere, graue Wälder, in denen beruhigend geheimnisvolle Dinge geschehen. Dezente Synthesizerklänge im Off machen die Sphäre der Komposition weit, eine lyrische ambiente Note schleicht sich ein. Doch die Dunkelheit des Themas und seine Schwerfälligkeit, geradezu Unbeweglichkeit lassen nicht zu, dass der Song zu Wohlgefälligkeit wird. Noch im fast eben so langen "Kungen" ist die Bandbegleitung von äußerster Dürftigkeit. Die fragile Note würde, mit erheblich mehr Geschwindigkeit und rhythmischer Angespitztheit gar Humor entwickeln. So aber bläst ein eisiger Wind durch das Notenskelett - und doch ist der Klangeindruck von grandioser Art. Wie auch in "Doves dance", in dessen 9 Minuten Schlagzeug und Bass zu einiger Beständigkeit finden und nicht nur als fast unhörbare Note weit weg zu vernehmen sind. Der Tanz ist heiter, ob seiner Gemächlichkeit, seiner Entspannt- und Verträumtheit. Rhythmische Akzente fließen im Marimbaspiel ein, das Motiv bekommt so eine Schaukeligkeit, die Schalk und Humor verrät. Und fast wird der Song schnell und virtuos, erhebt sich der Sound zur Mauer, wird das Grau hell und zu lebendiger Farbe, da verspielt das Piano die Note und gibt ihr die Kindlichkeit und Friedlichkeit zurück, die sie erst hatte. Ein Phänomen. Für Freunde langsamer Töne, die eher Philosophie als Rock, eher Jazz als Folk, eher Versuch als Beweis sind, eine komplexe Herausforderung. "Ursa Major" beginnt energisch, die Band bringt das straff organisierte Arrangement flüssig zu Gehör. Piano und Marimba teilen sich das fast minimalistisch schmale Melodiegeschehen, das schließlich von ausdauernder Synthesizerimprovisation überzogen wird, bis das Grand Piano die Führung übernimmt und mit ernster, strenger Note die aufgeregte Stimmung in die Melancholie zurückführt, wo die letzten Minuten lasziv und dekadent dahinschwelgen. "Dead water" belebt ein bedrückendes Gefühl, dunkler, tiefer als Melancholie; anders, kranker, böser, nagender. Der Klang hat schwere Dumpfheit, als scheinen die Höhen ausgeblendet, die von der wenigen Perkussion eingebracht werden. Ein weiteres mildes Thema, das nicht die dunkelste Düsternis als Ziel hat, sondern die tiefste Schwere, abgründigste Emotionalität, die größtmögliche Intensität dunkler Klänge, die nicht von leichten, poppigen Ideen getragen werden, fast klassisch sind, eine Form von Progressive Rock, wie sie in nicht ganz anderer Art vor langer Zeit vom Jazzgitarristen Terje Rypdal versucht wurden. "W.A.R.M." hat tatsächlich weitaus mehr Wärme als die kühlen Themen der vorherigen Tracks, deren Atome sich erst im pulsierenden Geschehen aufluden und schließlich wieder eisgekühlt wurden, dass sie verebbten. Entspannter und leichter ist das zehnminütige Thema, nachdenklicher und schläfriger, und kein Stück weniger gut. Der Klang des Pianos hat nicht diese Bedrücktheit, obschon Schwere. Die Nuancen der Düsternis sind zarter ausgeprägt, weicher. Die jazzigste Note der Platte, der sich 19 Minuten "Mother" anschließen. Das beginnt mit einem Motiv, das an längst vergangene Pink Floyd Zeiten erinnert, an die psychedelische Frühphase, als noch Space Rock möglich war. Die Entwicklung der sphärisch dämmernden Komposition zieht sich jedoch ganz anders hin und gibt dem Piano wieder mehr Freiraum, die anderen Instrumente ziehen sich zurück und kommen nur als dezente Begleiterscheinung zu Einsatz, mittendrin lässt die Band eine längere Pause, in der schlicht nichts zu hören ist, bis das Thema wieder aufgenommen und zu mehr Bewegung gebracht wird als im ersten Teil, der zwar donnerte, aber keine klare Entwicklung zu erkennen gab. Was für ein Album, welche Musik! Ich kenne keine Band, die mit In The Country vergleichbar ist. Terje Rypdal hat nur marginale Vergleichspunkte, ist eher geistig verwandt denn akustisch. Laute und leise Klänge sind nicht herkömmlich gewoben, und wie sich die Songs entwickeln, dass gar Gesang passiert, und wie, ist von ganz großer Eigenart. Auf ungewohnte Klänge Neugierige werden in dem passend benannten "Whiteout" skurrile Düsterklänge erleben, die unbedingt zu begeistern vermögen. Auf ihre Art. Wesentlich.

Volkmar Mantei



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