CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)

Spaltklang - en Suite
(57:28, Fazzul Music, 2009)

Doch, die Bands und Projekte sind noch zu zählen, in denen Markus Stauss aktiv war und ist. Trank Zappa Grappa in Varese war, wenn ich jetzt nicht irre, die jüngste Veröffentlichung eines dieser Projekte. Einige gibt es nicht mehr. Überfall etwa, das zwischen 1986 und 1994 fünf Platten veröffentlichte. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Spaltklang, obschon bis auf Markus Stauss völlig anders besetzt, das Erbe des grandiosen Vorgängers eingegangen ist. Beide Projekte haben keine Gitarre im Line-Up (keinen Gitarristen...) (und keine Gitarristin!), dafür Violine (Überfall) beziehungsweise Viola (Spaltklang). Viel mehr als die instrumentale Besetzung erinnern mich die komplexen, abstrakten Arrangements der Stücke der neuen Band an die freakigen, freien der alten. Zudem: Spaltklang - Wikingermäßig betrachtet resultiert der Name aus (einem) Überfall. Oder?!? [Nach Robert Walser kann der Name auch auf etwas ganz anderes zurückzuführen sein: eine Flasche zu spalten (zu öffnen) - den Korken knallen zu lassen: Spaltklang - macht das Quartett Wein-Musik?] Olivier Vogt (va), Stephan Brunner (b), Rémy Sträuli (dr, key) und Markus Stauss (ts, ss) machen Kammerrock. Darunter sind auch Univers Zero zu finden, doch beide Bands haben kaum Gemeinsamkeiten. Spaltklang machen zwar keine lustige oder fröhliche Musik (wie es durchaus vom Trommler zu erwarten sein könnte), sondern ernste instrumentale Musik, in der alle vier Beteiligten als Melodiker, keiner der Involvierten, etwa der Bassist oder der Schlagzeuger nur als Rhythmusknechte arbeiten - den Part übernehmen sie nebenbei locker mit. Zwar stehen die Saxophone und die Viola im melodischen Vordergrund, stets jedoch gut angesägt und durchwühlt von den enorm lebhaften, vordergründig aktiven Mitarbeitern. Stephan Brunner erdet die Crew und führt die Tracks in ihre teilweise enorme Länge. Rémy Sträuli federt die ernste, strenge Komposition auf, in deren Kern das Gebläse und die akustischen Saiten zwischen romantischer Lyrik und moderner Disharmonie erquickliche Stimmungen erzeugen. Olivier Vogts Viola ist zarter und inniger gespielt als das druckvolle, laute Saxophon Markus Stauss'. Beide fahren Solostrecken, in denen die Band zum Jazz neigt und freakig verspielten satten Groove zelebriert. Vor allem Markus Stauss zieht in seinen Soli zum Jazz, lässt die Strenge locker durchbaumeln und bläst schon mal freitonalen Freejazz. Höhepunkte der Songs sind Unisonopartien, vom ganzen Quartett gespielt, und fast macht sich ein klein wenig Humor bemerkbar, die Jungs tun so, als marschierten sie als Ritter von der Kokosnuss durch ihre Idee. Verflixt schön, wie im Titeltrack nach dieser holprigen Passage ein buntes Treiben aufwirbelt, dass als melancholische Erschöpfung in dezenter Stille auspendelt, woraus das Quartett mit neuer Frische energisch aufzieht. Spaltklang hatten, so mein Eindruck, nie zuvor solche strengen und dabei wohldurchdacht komponierten, ernsthaften Stücke. Die gewisse Lässigkeit und die bequeme Latschigkeit des Anfangs sind vorbei, deutlich mehr Energie und Komplexität, Radikalität und kompositorische Frische gehen in der Band auf. Vielleicht der Einfluss Yugens, ein weiteres (progressiv komplex arbeitendes) Projekt, in dem Markus Stauss für das Gebläse zuständig ist. Die formale Strenge macht das komplette Album zuerst etwas unzugänglich. Lockere Improvisationen sind selten, die nüchternen Kompositionen von Anfang bis Ende genau festgelegt und lassen wenig locker. Etliche Strecken klingen so mehr nach Neuer Musik, zeitgenössischer Klassik, als nach Rockmusik. Im Laufe diverser Hördurchgänge geht indes die Musik auf, schlagen die Songs Wellen und bekommen Widererkennungswert. Und dann plötzlich scheint es mir, als begleiteten Markus Stauss und Olivier Vogt als schmückendes Beiwerk den illuster virtuosen Schlagzeuger, als gäben diese drei den Background für den Bassisten, dann wieder sind Viola, Schlagzeug und Bass nur deswegen beteiligt, weil das Saxophon sonst "nackt" im tonalen Raum stände - und Bläser, Schläger und Zupfer mauern die Struktur, auf der die dunklen Saitentöne ihre Fäden ziehen - die Wertung verschiebt sich, jeder steht im Fokus seiner Begleitung, ganz nach Hörkonzentration. Und zuletzt klingt ein Echo aus einer anderen Musikwelt durch den Studioklang des Quartetts: bulgarische Blasmusik, Balkan-Blues - diese satte, erotisch fleischige Musik, deren Bläser am Abgrund kratzen und sägen und keine Furcht kennen. Locker klingen Spaltklang erst, wenn "en Suite" etliche Runden im CD-Player gelaufen ist. Dann umso lockerer und alle Strenge ist nur ein schräger Joke.

Volkmar Mantei



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