CD Kritik Progressive Newsletter Nr.66 (09/2009)

Pienza Ethnorkestra - Indiens d'Europe
(59:29, Soleil Zeuhl, 2008)

Des Namens zweiter Teil könnte für Verwirrung sorgen: das Livetrio Daniel Jeand'heur (dr, One Shot), James Mac Gaw (b, One Shot) und Thierry Bruneau (Vielle à Roue) spielen ethnisch höchstens minimal beeinflussten Avantrock, der in der düsteren Weite zwischen crimsonesker Radikalität und strengem Zeuhl arbeitet. Einige Kompositionen sind Traditionals, zwei davon aus Bulgarien, ein weiteres mit "Hongrois" gezeichnet, die Hälfte eines Songs stammt von One Shots bezauberndem Extremtrommler Jeand'heur, zwei aus der Feder von Bruneau, eine Komposition von Vesvre - wer immer das auch sein mag, möglicherweise ein weiterer Vielle à Roue - Komponist. Das Instrument ist Dreh- und Angelpunkt der Konzertaufnahmen vom 10. und 11. August 2005. Auf Wikipedia ist, siehe unten, ein ausführlicher Artikel zum Instrument nachzulesen. Die Vielle à Roue, auch Hurdy Gurdy, Drehleier oder Radleier genannt, hat ihren ganz eigenen Sound, der zuerst mittelalterlich klingt, weil der Klang aus der alten Volksmusikhistorie bekannt ist und kein modernes Instrument seinem Klang nahe kommt. Doch wie Thierry Bruneau das Instrument spielt, und wie er von 2/3 One Shot begleitet wird, macht die Aufnahmen interessant. Zuerst wirkt der plärrige, klagende Ton der Drehleier anstrengend. Pausenlos ist das Instrument zu hören, spuckt es in der ultraschnellen Spielweise, in mordswilden, scheinbar nie enden wollenden Improvisationswellen Töne wie Lavaströme aus. Balladeske Motive spielt das Pienza Ethnorkestra zwar auch, doch diese haben in der Interpretation der Hurdy Gurdy ihre eigene Dynamik und verführen das Trio schließlich zu Rasanz und teilweise dramatischer Härte. James Mac Gaw, der ansonsten elektrische Gitarren zur Verzweiflung bringt, gibt den Magma-Faktor und spielt besonders hart. Seine Soli sind ausgefallen und grandios wie seine sonstigen Gitarrensoli, und wirken in der Klangeruption hier doch ganz anders. Daniel Jeand'heur ist ein brillanter Schlagzeugmeister, der wieder einmal komplexeste Rhythmen und schier pausenlose Rhythmuswechsel mit Bravour lebhaft und dynamisch gibt und zudem als weiterer Melodiearbeiter die Songs bestimmt. Das Trio spielt präzise wie im Progressive Rock, hart und brutal wie in Zeuhl oder Metal und improvisativ wie im Jazz. Wer jedoch Probleme mit dem Klang der Hurdy Gurdy, der Vielle à Roue hat, sollte erst einmal in die Platte reinhören, bevor das geliebte Wohnzimmersesselwohnzimmer mit dem dröhnenden Klang in Schwingung gebracht wird.

Volkmar Mantei



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