CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)

Parallel Or 90 Degrees - A can of worms
(74:29 + 73:17, ProgRock Records, 2008)

Diese Doppel-Best-Of-CD irritiert, provoziert, und versöhnt am Ende die Erwartungen des Hörers. "A can of worms" ist ein Ritt durch die Musik-Gefilde von Andy Tillisons Vorgängerband Parallel Or 90 Degrees. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Natürlich sind die Studio-Alben aus dem Jahre 1996-2002 längst vergriffen und somit nicht mehr offiziell erhältlich, aber musste es dann doch eine "Best of" CD werden, wäre hier nicht eine Wiederveröffentlichung der stärksten PO90D-Alben mit eventuellen Bonustracks die besser Wahl gewesen? Gerade für die neu geweckte Hörerschaft - hervorgerufen durch den mittlerweile hohen Bekanntheitsgrad von The Tangent, oder für alle, die das eine oder andere gute Werk der Band versäumt haben. Zudem handelt es sich meist um Konzeptalben mit etlichen Songzyklen, die somit völlig aus dem Zusammenhang gerissen werden. Na ja, vielleicht kommt zu einem späteren Zeitpunkt meine gewünschte Zweitauflage, aber dann gilt in diesem speziellen Fall: abgezockt und unendlich clever. Aber noch ist es ja nicht so weit, also beherrschen wir uns, hören so unvoreingenommen zu wie nur irgendwie möglich. Der Aufbau beider CDs sieht wie folgt aus: Drei Stücke stammen aus "More exotic ways to die" - dem wohl ausgereiftesten und besten Album der Band. Hier zeigen sich alle Qualitäten, die PO90D auszeichnen. Progressive Rock der 70er, auf Augenhöhe mit Van Der Graaf Generator oder Emerson, Lake & Palmer, dazu eine psychedelische, moderne sowie aggressive Note, in der man fast wie Porcupine Tree oder Radiohead klingt. Ebenfalls drei Stücke kommen aus dem Album "The time capsule" - hier hat man für meinen Geschmack genau die falschen Songs ausgewählt. Denn diese drei sind die eigentlichen Schwachpunkte der CD, es fehlt die eigene Handschrift und das breite musikalische Spektrum. Etwas zu flach, zu unspektakulär sprudeln diese Tracks umher, einmal fast radiotauglich, das andere Mal akustisch-atmosphärisch im Floyd-Sound. Zwei Stücke stellt das Werk "Unbranded" - da passt die Songauswahl wieder besser. Herzerfrischend wie in guten alten VdGG-Zeiten röhrt die Orgel, die Gitarre spielt mit Leidenschaft und Kraft, und im Sound sind an manchen Stellen sogar Drum'n'Bass-Rhythmen zu hören. Fehlen also noch die beiden Frühwerke "The corner of my room" und "Afterlifecyle" - besonders lobenswert ist hierbei das 28minütige Medley aus "Afterlifecyle". Ein Potpourri, welches aus verschiedenen Teilen des Albums besteht, aber dennoch über Space-artige Sounds miteinander verbunden ist. Porcupine Tree Fan der ersten Stunde werden begeistert sein. Lediglich ein ab und an übernehmendes E-Schlagzeug klingt ziemlich blutleer und wenig perfekt. Die VdGG-Coverversion "Modern" stammt eigentlich von einer Kassettenaufnahme unter dem damaligen Bandnamen "Gold Frankincense and Diskdrive" (Besetzung: Andy Tillison + Guy Manning) und ist nicht nur soundtechnisch mäßig aufregend. Die restlichen Songs sind unveröffentlichte Tracks aus dem Jahre 2002, die eigentlich für ein weiteres PO90D-Album gedacht waren. Doch es kam die Entstehungsgeschichte von The Tangent dazwischen, so dass der geniale Song "Four egos one war" (hier in der Urfassung zu hören) für das neue Projekt (CD - "Not as good as the book") genutzt wurde. Aber auch die drei anderen "rare and unreleased" Sachen sind sehr gut anzuhören, wie z.B. der unter Mithilfe von Roine Stolt ebenfalls im Jahr 2002 neu eingespielte Song "Blues for Lear". Unterm Strich ist "A can of worms" (wenn denn meine Befürchtungen von oben nicht eintreffen) eine lohnenswerte Anschaffung, da es viele interessante und kompromisslose musikalische Bausteine zu entdecken gibt.

Andreas Kiefer



© Progressive Newsletter 2009