CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)
Martigan - Vision
(79:13, Privatpressung, 2008)
Manches mal laufen die Dinge eben doch etwas anders geplant und schon hat man zum Redaktionsschluss eines Heftes auf einmal zwei Kritiken zur gleichen CD. Damit hier niemand zu kurz kommt, gibt's eben einen Doppel Kritik zur aktuellen Martigan CD: Wenn sich eine Musikband sieben Jahre für das nächste Studioalbum Zeit nimmt, wachsen die Erwartungen. Martigan aus Deutschland haben ihr letztes Album im Jahre 2002 aufgenommen, der gewisse Erwartungsdruck scheint keine Spuren hinterlassen zu haben, sie melden sich als gereifte Musiker zurück. Die Musik - ein Mix in allerschönster Neo Prog-Tradition, die man direkt von Marillion, IQ, über Arena, Pendragon herleiten kann - zeichnet sich durch vielschichtige und gefühlvolle Arrangements mit ganz viel Liebe zum Detail aus. Ein emotionaler Sologesang mit theatralischer Dimension (klingt wie Fish, oder Paul Wrightson in einer tieferen Tonlage), ruhige Klavierparts, ab und an etwas härtere Gitarren, bombastische oder atmosphärische Synthies, retro-angehauchte und leicht vertrackte Rhythmen, abwechslungsreiche Drums, und herrlich ausufernde, singende Gitarren wurden zu einem recht unaufdringlichen sowie harmonischen Klangbild zusammengeführt. Die CD enthält acht Tracks mit Spielzeiten von einer Minute bis über zwanzig Minuten, bei denen gerade die längeren Stücke einen recht hohen Instrumentalanteil vorweisen. Dabei verliert man sich allerdings nicht in Frickeleien, sondern lässt die Musik eher fließen und schweben. Das Stilspektrum wird somit nie durchbrochen, d.h. man sollte als Hörer noch nicht den Spaß an solch typischem Neo Prog verloren haben, denn es gibt auch etwas schablonenhafte oder angestaubte Stellen zu erkennen. Zudem sollte man auch kein Problem mit ein wenig überdimensionierten Keyboards haben, die so manches rhythmische Feuer in wohlige Harmonien auflösen. Klingt meine Rezi jetzt vielleicht zu negativ? Sollte sie eigentlich nicht, denn "Vision" ist eine durchaus gelungene Scheibe, vielmehr wollte ich nur deutlich machen, dass sich jeder potenzielle Käufer erst über seinen eigenen musikalischen Standpunkt und Anspruch klar werden sollte - denn nur mit der richtigen Einstellung kann man an diesem gelungenem Album Gefallen finden.
Andreas Kiefer
Man, also ich, versteht viele Dinge ja nicht. So zum Beispiel, warum eine Band wie Martigan nicht den großen musikalischen Erfolg hat. Ich war bei mehreren Konzerten dieser Band und wunderte mich immer, wie wenig Musikbegeisterte den Weg in die Locations fanden. Natürlich war das "Jaja" in Hennef bis auf den letzten Platz gefüllt. Aber der Saal hatte die Ausmaße einer Sardinenbüchse. In der Kantine waren beide Male noch viele Quadratmeter frei. Dabei MUSS man doch diese Musik mögen. Und mit diesem Superlativ im Hinterkopf kam nun die neue Martigan CD "Vision" auf meinen Tisch. Damit hat sie es natürlich sehr schwer, die Erwartungen zu erfüllen. Viele, viele Jahre hat sich die Band Zeit gelassen, ehe der Auswurf nun eintraf. Und dann kam das, womit man eigentlich nicht rechnet. Martigan machen genau da weiter, wo sie mit dem tollen Album "Man of the moment" aufgehört hatten. Wunderbare Melodien, druckvoller Sound, wunderbarer Neoprog. Trotz über 79 Minuten Spielzeit ist kein Ausfall dabei. Im Gegenteil. Jeder Song ein typischer Martigan. Allein das erste Stück "boatman`s vision" ist mit der aufgebauten Struktur und Spannung nicht zu überbieten. Dies ist mein Anspieltipp. Dauert auch nur 23:12 Minuten! Man sollte sich den Anfang von "Snapshots" mal auf der Hörmuschel zergehen lassen. Pink Floyd lässt grüßen. Großer Sport! "Touch in time" ist von seinem Aufbau her ein großes Werk. Treibende Drums (Alex Bisch), Spannung erzeugende Keys (Oliver Rebhan), dreckige Gitarren Riffs (Björn Bisch). Und Kay Marckwordt shoutet mit Leidenschaft. In "Much more" geht es treibend nach vorne. Ein wunderbares Keyboard unterstützt die Drums. Kompliment an Oliver. "Red and green" ist für mich das beste Stück der Scheibe. So richtig zum Grooven und träumen. Nach diesem über 10-minütigen Song gibt es dann noch einen Longtrack von über 20 Minuten. Prog in Reinkarnation. Wirklich alle Elemente eines tollen Stückes sind vorhanden. Ich persönlich kann mit der Stimme von Kay nicht mehr so viel anfangen. Sie wird auf Dauer langweilig. Aber sie gehört zu dieser Musik, wie Benzin in den Motor. Mir ist der Gesang oftmals zu textlastig. Ab und zu singt Mirko Bäumer als Gaststar, sorry, als Gastmusiker, mit. Eine tolle Shouterstimme ist ihm gegeben. Im Song "Crazy this town" singen beide. Absolute Spitzenklasse. Diese zwei Wörter kann man getrost auch als Fazit der Veröffentlichung nehmen. Diese CD ist ein MUSS für die, die Martigan mögen. Allen, die mit progressiver Rockmusik etwas anfangen können, sei diese CD empfohlen. Ich tue mich immer schwer, Vergleichbands anzugeben. Wer druckvolle Parts mit groovigen Passagen mag, intelligenten Songpassagen etwas abgewinnt und abwechslungsreiche Musik mag, kommt eigentlich um diese CD nicht herum.
Klaus Bornemann
© Progressive Newsletter 2009