CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)

Zlye Kukly - At the end of days
(50:48, Mals, 2009)

Russland hat seit vielen Jahrzehnten, vielleicht seit mehr als 100 Jahren eine ganz besondere Liedermacher-Szene, die nicht zu vergleichen ist mit solchen in anderen Ländern. Das liegt sicher an der politischen Vergangenheit und zähen Entwicklung des alten und großen Reiches, an der melancholischen Kultur seiner uralten Lieder und Folklore, und an dem, was nicht anders als "die russische Seele" genannt werden kann. Die Vielfältigkeit der Kulturen des Riesenreiches hat weniger Einfluss auf die europäisch-russische Liedermacher-Szene, es ist zu wenigen ausdrucksstarken Mischungen der ethnischen Stile innerhalb des russischen Reiches, vor allem der asiatischen Länder gekommen. Eher hatte das russische Lied eine Vorliebe für klassische Komponisten, für Jazz oder für die ganz spezielle Szene, die sich in den großen Städten des europäischen Teiles des Landes entwickelte. Kein Stalin hat die russische Musik abwürgen können, es gibt sie nach wie vor. Ihre Ausprägung ist heute gewiss viel größer und intensiver als zu Sowjetzeiten, aber längst nicht waren die alten Sänger schlechter als die heutigen. Ganz im Gegenteil, einige haben einen geradezu legendären Status, ohne jemals staatliche Förderung erhalten zu haben, was zu Sowjetzeiten die einzige Möglichkeit war, publiziert zu werden. Zlye Kukly ist das Projekt von Fred Adra. Der Multiinstrumentalist, der mit diversen Musikern zusammenarbeitet, die hier und dort ihre instrumentalen Spuren auf seinem Album "At the end of days" hinterlassen haben, zeigt eine starke Beziehung zur russischen Liedermacherseele. Es ist der Gesang, die Art des Gesanges, der Humor und die Trauer, die Melancholie und Nachdenklichkeit, die witzige Frische und komische Ulkigkeit der Themen. Manchmal hat ein Song alle diese emotionalen Merkmale, ist komisch und traurig zugleich, poltert wie ein lustiger Geist, der nicht düsterer wirken könnte. Die instrumentale Begleitung der schöngeistigen romantischen Lieder hat starke Parallelen zum Symphonic Progressive Rock, ebenso zu eingängiger Rockmusik und ist partiell einfach auf die akustische Gitarre beschränkt. Fred Adra spielt fast alle Instrumente selbst. Das Schlagzeug klingt programmiert, davon ist im Booklet jedoch nichts zu lesen. Ein Song wurde von einem Gastschlagzeuger eingetrommelt, die anderen hat samt aller Perkussion Adra selbst übernommen. Keyboards, akustische und elektrische Gitarren, Flöte, Mandoline und Violine, Schlagzeug und Perkussion sind zu hören. "At the end of days" teilt sich in zwei Akte, deren beide je fünf Songs haben. Alle Songs sind von großer Harmonieschönheit, von Sanftheit, Eingängigkeit - und daneben einiger Bissigkeit. Typische Balalaika-Motive sind zu hören, die aus einem nachdenklichen Part erwachsen und Frische in das Thema bringen. Insgesamt jedoch bestimmt nicht die instrumentale Begleitung die Songs, sondern der Gesang Fred Adras - und vor allem, was er singt. Seine Texte. Im Booklet sind drei davon in englischer Übersetzung nachzulesen. Eingespielt wurden die Songs bereits in den Jahren 2005 bis 2006. Und zwar in Jerusalem, Israel. Wenige Informationen gibt das Booklet her, zur Band keine. So ist nicht festzustellen, ob die Musiker aus Russland ausgereiste Juden sind, die für ihr Leben von der russischen Seele geprägt wurden - oder dort nur ihre Aufnahmen machten. Wie dem auch sei, "At the end of days" ist ein warmherziges, liedhaftes, instrumental symphonisch geprägtes, 79 Minuten langes Album voll Harmonie und Sanftheit, das mit nichts zu vergleichen ist.

Volkmar Mantei



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