CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)

Ulysses - The gift of tears
(61:50, Symbioses Music, 2008)

Die Holländer stehen für harten Progressive Rock, der gern über den Zaun zum Prog Metal schielt, symphonische Epen und hartes, kantiges Komplexmaterial intoniert und melodisch die Süße des Schönklangs sucht. Die Stimme des Sängers Michael Hos ist ausdrucksstark, geschult und auf den breiten Pol des Progmainstreams orientiert. Die Gesangslinien suchen, etwa wie in der Oper, mit ausdrucksstarkem Gesang und markanter Melodie die Texte zu transportieren. Michael Hos' Stimme nimmt das perfekt auf. Gerade die eingängigen Gesangsparts, melodisch besonders breitenwirksame Motive in den Refrains, werden der Band mit ihrem zweiten Album Erfolg bei Freunden des weniger freakigen Symphonic Prog und weniger harten Progmetal bringen. Instrumental haben die 7 überwiegend langen Songs einiges zu bieten. Während in den Vokalparts eher eingängige und leichte Motive vorherrschen, strebt die Band in längeren instrumentalen Parts in die Weite und unternimmt ausgedehnt anspruchsvolle Touren. Keyboards und harte Riffgitarren bauen das starke und krisensichere Geflecht, auf dem Gitarrensoli, komplexe Parts und Keyboardfantasien dem geneigten Prog-Fan Unterhaltung bieten Ulysses beweisen mit "The gift of tears" Fantasie, ohne jedoch diese offenbare Starre zu überwältigen, die aus ihren Songs spricht. Vielleicht ist es die Zuneigung zu eingängigem Kompositionsgut, der Kompromiss aus Härte und Harmonieepik, der Wille, in der breiten Masse anzukommen. Oder anders gesagt: Ulysses spielen kunstvolle Musik, ohne die handschriftliche Leichtigkeit und spielerische Extravaganz zu besitzen, die dem Kunstgenre in seiner besten Form eigen sein kann. Auf meiner ganz persönlichen Skala steht an der unerreichbaren Spitze der Genialität Gentle Giant (15 Punkte), was ganz unten ist, weiß ich jetzt nicht. Als untere Orientierung (keine technische Perspektive) nehme ich Marillion (1 Punkt, mit Verlaub) - letztere sind gewiss deutlich zu unterbieten. Ulysses bekommen - ganz persönlich - in diesem Vergleich drei Punkte. "The gift of tears" hat viel Schweiß gekostet und ist ein ausdrucksstarkes Werk geworden. Aber es fehlt ihm vor allem eines: spielerische Leichtigkeit. Es ist rau und kraftvoll, ohne wild zu wirken, es ist gebremst und gezügelt, ohne frei zu klingen. Seiner symphonischen Eleganz steht Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Hört es euch an, und entscheidet selbst.

Volkmar Mantei



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