CD Kritik Progressive Newsletter Nr.65 (05/2009)

Spaghetti Epic III
(62:39, Musea / Colossus, 2009)

Mit leichter Verzögerung erschien nun endlich der dritte Teil der den Italo-Western gewidmeten "Spaghetti Epic" Serie. Drei Bands liefern hier ihre Beiträge in Form von symphonisch-progressiven 20-Minütern ab. Den Anfang machen die russischen Little Tragedies. Gemessen an ihrem Debütalbum haben sich die Russen mittlerweile doch gewaltig steigern können. Ihr Song "The voice of silence" hat mit "Ruhe" nichts zu tun, stattdessen wird gewaltiger Keyboard-Prog mit deutlichen ELP-Anklängen geboten. Die Arrangements von Mastermind Gennady Ilyin (Tasten und Gesang) sind zwar gelungen, bisweilen scheint mir aber auch eine leichte Spur Effekthascherei durchzuschimmern. Während die Keyboardfanfaren und die bisweilen auch sehr effektiv gesetzten Gitarrenparts sehr rund laufen, wirken die russischen Gesangsparts etwas rumpelig, stören den Fluss ein wenig. Da dies aber nur einen relativ kurzen Part ausmacht, bleibt insgesamt doch ein positiver Gesamteindruck zurück. Höhepunkt des Albums ist für mich eindeutig die nachfolgende Nummer "Suite Pauline" der rumänischen Formation Yesterdays. Wer deren Debütalbum kennt, wird überrascht sein, wie variationsreich und im Ganzen doch wesentlich komplexer sie sich hier präsentieren. Als ob sie sich abgesprochen hätten, beginnt der Song ebenso mit Moog Spielereien, wie der Eingangssong der Russen endete. Bald gesellen sich Mellotron und Orgel hinzu und es entwickelt sich ein wahrlich fantastisches Symphonik-Prog-Highlight. Zwar spielen auch hier die Keyboards von Zsolt Enyedi eine enorm wichtige Rolle, aber die Strukturen sind so arrangiert, dass letztendlich kein Instrument als übergeordnet wahrgenommen wird. Im Gegensatz zum Debütwerk ist hier eine abgespeckte Yesterdays-Variante aktiv, denn die Damen sind hier nicht mehr an Bord, stattdessen hat Akos Bogati-Bokor neben der Gitarrenarbeit auch den Gesangspart übernommen. Zwar wirkt der in Muttersprache vorgetragene Gesang im ersten Durchgang etwas gewöhnungsbedürftig, aber dank seiner angenehmen Stimme und der schönen Melodielinien werde ich schnell nicht nur von der Instrumentalarbeit überzeugt. In zwei Passagen werden für mich klare Parallelen zu den 70er Yes deutlich: auf halber Strecke erinnert ein E-Gitarrenpart (Fender Telecaster) sehr an "Relayer"-Zeiten, während ein Schlagzeug+Mellotron Ausflug stark an "Tales from topographic oceans" (um genau zu sein: "Ritual") angelehnt scheint. Hier spielt auch Gastschlagzeuger David Speight (u.a. auch bei Yak und der Peter Banks Band aktiv) furios auf. Neben 1a-Symphonik-Rock gibt es auch kurze Ausflüge in barocke Zeiten (Lute und Spinett), aber auch einen zunächst etwas seltsam anmutenden schrägeren Part mit eingebundenem Trompeten-Solo(!), was mich ein wenig an King Crimson's "Lizard"-Album erinnert. Auch eine an Gentle Giant angelehnte Passage mit schön arrangiertem Setzgesang wird eingebracht, und dies fügt sich ebenso nahtlos und stimmig ein. Keyboarder Zsolt Enyedi liefert an Mellotron, Synthis, Kirchenorgel, Piano etc. eine Arbeit ab, die meinen Geschmack zu 100% trifft, dazu die tollen Gitarrenarrangements, abwechslungs- und einfallsreiches Spiel - schlichtweg Spitzenklasse! Dieses Niveau kann die nachfolgende italienische Band N.O.T. - wie der Name schon sagt - zwar nicht halten, aber immerhin liefern sie mit ihrem über 23-minütigen "Epilogo" ein sehr ordentliches erstes Zeichen ab, das neugierig auf ein komplettes Album der Italiener macht. Insgesamt wirkt ihre Musik etwas rauer und ungeschliffener, aber die typischen Elemente des 70er Jahre inspirierten Symphonik-Progs sind auch hier zu hören. Das Quartett bekommt Unterstützung von Gastsänger Marco Esposito, der italienischen Gesang beisteuert. "N.O.T." steht übrigens für Noise Overtones Therapy. "Spaghetti Epic III" ist für den Liebhaber der symphonischen Töne sicherlich eine dicke Empfehlung wert!

Jürgen Meurer



© Progressive Newsletter 2009