CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)
Neal Morse - Lifeline
(69:32, Radiant Records, 2008)
Nachdem Neal Morse bei seinen letzten Prog Veröffentlichungen (nebenbei bringt der umtriebige Amerikaner auch noch "normale" Alben mit christlicher Rockmusik bzw. eher akustisch angelegte Scheiben heraus) vor allem auf große Konzepte setzte, ist das aktuelle Werk "Lifeline" in gewissem Maße eine Rückkehr zu Songsammlungen im Stil der früheren Spock's Beard Alben, die ohne einen direkten Bezug zueinander stehen. Na gut, ganz stimmt dies auch wieder nicht, denn textlich werden einem hier wieder sehr plakativ und äußerst offensiv christliche Botschaften um die Ohren gehauen. Doch dies ist man ja von ihm seit seinem Ausstieg bei Spock's Beard gewohnt, so dass es letztendlich von der eigenen Toleranzgrenze abhängt, wie man mit dieser textlichen Einseitigkeit zu Rande kommt. Ansonsten ist vieles im gewohnten, stilistischen Terrain angesiedelt bzw. werden kleinere Korrekturen vorgenommen. Neben Morse sind seine langjährigen musikalischen Weggefährten Mike Portnoy und Randy George ein weiteres Mal mit an Bord, die für ein ausgezeichnetes Rhythmusgerüst sorgen. Neben fünf eher kürzeren Titeln, dürfen natürlich auch zwei Longtracks nicht fehlen, wobei es der ausgezeichnete Titelsong auf mehr als 13, das überlange und ebenso mit einigen Längen versehene "So many roads" auf knapp 29 Minuten bringt. Wie von Morse gewohnt, bekommt man zum wiederholten Male eine ausgewogene Dosis an qualitativ hochwertigem sinfonischen Retro Prog mit mächtigen Melodiebögen und solistischen Ausschmücken geboten. In gewisser Weise also genau das, was man auf den letzten Alben bekam, wenn auch mit einigen kleineren "Aber". Gerade der erhöhte Härte- und Tempograd vom druckvollen Vorgänger "Sola Scriptura" wurde zugunsten mehr melodischer, überaus eingängiger, wie auch bombastischer Momente zurückgefahren. Zugleich dominieren die Keyboards über den Gitarren, sind aggressive Ausbrüche eher in der Minderheit. Dafür kommt es dem Album zu Gute, dass hier nicht nur ellenlange Tracks mit verschiedenen Themen aneinandergereiht wurden, sondern endlich die Songschreiberqualitäten von Morse wieder mehr zum Ausdruck kommen. Gerade die kürzeren Titel sind teilweise nur so von positiven Stimmungen und relaxter Atmosphäre durchzogen, dass das Anhören einfach Spaß und in dieser Form einfach mehr Sinn macht. Als Ausgleich dazu wird mit dem düsteren, sehr expressiven und zu Beginn mit mächtigen (gesampelten?) Bläsersätzen versehenen "Leviathan" eine Nummer vom Stapel gelassen, die man in dieser Art noch nicht von Neal Morse hören durfte. In solcher Spielweise wünscht man sich zukünftig noch mehr Material. Somit ist "Lifeline" einerseits ein typisches Neal Morse Album mit gewissen Wiederholungen, anderseits sind jedoch ebenso kleinere Ansätze für neue Stilmerkmale zu erkennen. Wer sich im Morse'schen Mikrokosmos zu Hause fühlt, wird von diesem guten, wenn auch nicht herausragenden Werk keinesfalls enttäuscht werden. Die Special Edition hält als Bonus noch weitere sechs Tracks bereit.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2009