CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)
Tanger - Mundos paralelos
(46:12, Viajero Inmovil, 2008)
Die Argentinier Tanger haben sich Größen aus Progressive Rock und Klassik zur Inspiration genommen: Bach, Piazzolla, King Crimson, Gong, Van Der Graaf Generator, Genesis (70/75), Strawinsky, Lutoslawski, Seru Giran, Beatles und Pink Floyd führt die Band auf. Die eigenen Kompositionen finden aus diesem Bereich nur King Crimson als Vergleich. Wie bei vielen King Crimson Nachfolgebands ist auch die Musik von Tanger etwas unnahbar, rau und kühl. Der melodische Jazzanteil im knochigen Rock macht, dass die Songs nicht wirklich rocken, sondern pausenlos kopflastig-komplexe Melodiemuster spielen. Luis Colucci (b, synth), Eduardo Ferreyra (g), Damián Lois (fl, key, perc) und Ignacio Martínez (dr, perc) haben die 10 Songs ihres aktuellen Albums von August 2006 bis November 2007 eingespielt. Eine lange Zeit, an den Ecken und Kanten hat die Band nicht gefeilt, sondern scharfkantige Stücke daran geschweißt. Der progressive Jazzrock hat null Mainstream-Ambitionen, hält aber auch von Metal oder hartem Rock wenig. Die Flöte ist Melodieinstrument Nummer 1, unisono oder im Gegenspiel zur melodisch harschen Gitarre werden ausgedehnte oder stets wechselnde Ideen intoniert, die einige Durchläufe brauchen, um im Hörsinn anzukommen. Wer Flötenspiel nicht zugeneigt ist oder crimsonesken Progressive Rock nicht mag, wird Tanger gewiss nicht ein zweites Mal hören. Das Flötenspiel ist, bis auf einige Gitarrenparts und die Gitarrensoli stets im Vordergrund aktiv. Der nicht eingängige Ansatz im Flötenspiel ist klassisch, ebenso die Melodik. Eine Herausforderung für KC-Fans! Dafür entschädigen interessante Gitarrensoli. Die Rhythmusarbeit ist ausgefeilt und differenziert, entsprechend den Kompositionen sehr komplex, aber nicht durch Extreme auffällig. Der Mann am Bass hat seine Chance, den Sound etwas wärmer und voller zu machen, verpasst, als er sich mit seinem angenehmen Melodiespiel zu weit ins Off mixen ließ. Balladeske Jazzrocker wie der Titelsong oder "El Castillo" hingegen wissen durch spannungsreiche Arrangements zu überzeugen. Plötzlich weicht die Unnahbarkeit, die Band arbeitet "weicher", harmonischer, weniger harsch. Kein Album für alle Prog-Süchtigen, gewiss nicht.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2009