CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)

Suspyre - When time fades
(75:22, The Laser's Edge, 2008)

Zuerst ein Solo. Skalenrausch auf der elektrischen Gitarre. Druckvoller Beginn! Die vertrackten Rhythmen rasen. Scharfkantige Gitarrensägen reißen hektisch an den Nervenenden, agogische Zentren fallen schneller über den Hörer her, als er denken kann. Suspyre sind vor allem eines: schnell. Klar haben auch diese Jungs (aus New Jersey) einige typische Merkmale des längst nicht mehr knackjungen Prog Metal in ihren aufwendigen Songs. Nichts jedoch ist billig, tausendfach gehört, die leichte Schiene, das Ewiggleiche. Wenn rasante Rockhärte, metallische Aggressivität und kunstvolle Komplexverschachtelungen eine wahnsinnige Mischung eingehen, dann hier. Dazu gibt es Elektronik, Jazz Fusion, symphonische Elemente, handwerkliche Extraklasse. Vor aller technischen Komplexkunst jedoch sind diese elf Tracks außergewöhnlich komponiert. Das fängt nicht mit den Gesangslinien und ihrer emotionalen Betonung an, die Power Metal, Speed Metal und Jazzlinien im Blut haben; druckvolle Aggression ebenso wie zerfahrene Verspieltheit, melodische Gewandtheit und abstrakte Harmoniewechsel überzeugend interpretieren kann. Das hat nicht wenig metallische Rücksichtslosigkeit wie zugleich lyrische Zartheit, die schon mal etwas künstlich klingen, ebenso aber entspannende Dunkelheit in die aufgewühlte, hektisch-nervöse Atmosphäre bringen können. Die Songs sind sehr kurzweilig, haben enorm viele kleine und große Extravaganzen, Pathos und Bombast, unendlich viele technische Klangeruptionen und, warum nicht, Saxophonsoli. Letztere, deren zumindest zwei es gibt, bringen einen genrefremden Sound ein, der enorm gut passt und sich, um den Ängstlichen die Angst zu nehmen, nicht in den Vordergrund drängt und das Arrangement vergiftet. In einigen Partien klingen Suspyre, als hätten sie sich die alten Progressive Rock Bands zum Vorbild genommen, King Crimson oder Van der Graaf Generator etwa (jetzt fangen alle zu suchen an, wo ist das zu hören, zeig mir die Stelle, nix zu finden, spinnt der?!?), nicht exakt nachgespielt, sondern als Inspiration in ihren kriegerischen Metalsound integriert, als harmonische Licks oder abstrakte Melodieeinbrüche. Klassisch-symphonische Einflüsse haben sich eingegraben, atonale Sachen ebenso wie mittelalterliche Klänge. Mancher Track wechselt urplötzlich aus der härtesten in die zarteste Spielweise, alles kann passieren. Alles passiert auch. Besonders gelungen: der enorm druckvolle, ganz vorn an den Boxen klebende, mordsfette Schlagzeugsound (nicht weniger gelungen das technisch vertrackte Schlagzeugspiel!). Etwas zu laut die Keys, etwas zu lau der Bass, nicht der aus den Tasten, nicht der von den Pedals, sondern der mit den Saiten. Grandios eingebunden die elektrischen und akustischen Saiten. Nicht weniger gänsehautig die klassischen Chorgesänge (komponiert, arrangiert und klangtechnisch). Und enorm gut alles, was mit dem männlichen Sologesang zu tun hat. Die Band hat mich bezahlt. Ich muss das schreiben. Darum zum Abschluss eine kritische Anmerkung: wer zum Henker hat das erdacht, komponiert, arrangiert und eingespielt? Können die nicht ihre Namen schreiben? Bei soviel musikalischem Kunstsinn? Mehrfach hören. Dann wieder.

Volkmar Mantei



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