CD Kritik Progressive Newsletter Nr.64 (02/2009)
Sebkha-Chott - Nigla(h) Tapisseries Fines en XXX Strips et LXX/X Trompettes
(74:28, Musea, 2008)
Düster und bedrohlich beginnt mit "Your Soul" das dritte Sebkha-Chott-Album "Nigla(h) - Tapisseries Fines en XXX Scripts et LXX/X Trompettes" (Wer denkt sich bloß immer diese Albumtitel aus?) und sehr schnell wird klar: Hier agiert nicht (mehr?) eine Spaßtruppe, die man nicht ernst nehmen kann oder muss (denn das ist das Problem der Band, die man wegen ihrer exzessiven Stage-Performances die Musikalität und die Ernsthaftigkeit abspricht), hier agieren Musiker, die wissen, was sie tun und anders als auf der Bühne, wo das Grelle den einen oder anderen ablenken mag, fällt auf den Alben (erst recht auf der neuen CD) jegliche Ablenkung weg. Und so mischen Sebka-Chott ihre Karten neu und bauen aus ihrer immensen Stilbreite ein fast schon alptraumhaftes Kaleidoskop. "Alptraum" ist eh die geheime Überschrift des Albums. Anders als auf dem Vorgänger "Nagah-Mahdi - Opuscrits En Quarante-Huit Rouleaux" (oder gar dem Debüt "De l'Existence de la mythologie Chottienne en 7 cycles"), bleiben die "prog-fremden" Elemente relativ weit im Hintergrund oder sie werden durch eine "Avantgardisierung" kompatibel gemacht - dies gilt vor allem für die Bläsersätze, die klingen, als ob sie aus einer belgischen Hexenküche entstammen. Hatten man bei den vorigen Alben noch Schwierigkeiten Referenzen zu nennen, so fallen mir dieses Mal spontan Parallelen zu Univers Zero, Present und Alamaailman Vasarat auf; dazu kommen dann noch mehr oder minder erkennbare Zitate von Magma (persifliert) und Sleepytime Gorilla Museum, mit letzteren ist Sebkha-Chott ja 2007 einige Male gemeinsam aufgetreten. Freilich klingt die Musik niemals wie die der Referenzbands, sondern immer nach Sebkha-Chott. So viel Eigenständigkeit muss sein Zu den wichtigsten Neuerungen in der Musik Sebkha-Chotts ist das Sopran-Saxophon, das zuerst wirklich wahrnehmbar in "Sabra & Shatila" für eine arabesque, vor allem für eine jazzige Note sorgt. Und dann immer wieder diese alptraumhafte Stimmung, diese aggressive Note, diese verzweifelte, apokalyptische und ganz und gar nicht komische Musik, die nicht unterhalten will, sondern sich wie eine böse Vision im Kopf festsetzt, vielleicht sogar vor den Kopf stoßen will. Dies ist alles keine leichte Kost, wahrlich keine leichte Kost. "Factory of Dreams" und im Anschluss daran "Phial Shapes" haben (nach einem langen Intermezzo aus eingespielten gesprochenen Zitaten) dann zum ersten Mal (für mich) das, was Sebkha-Chott von einigen immer wieder attestiert wurde, ohne dass ich es nachvollziehen konnte, ein Hauch von Frank Zappa scheint für mich unterschwellig fast greifbar: Vielleicht sind es die burlesken Bläsersätze, die mich an den späten Zappa der "The Best Band You Never Heard In Your Life" denken lassen? Dann ist da aber wieder diese ganz eigene, eigentümliche Mischung aus Bläsern, funkig-aggressivem Bass, jazzigen E-Piano und brettharten, trockenen Metalriffs, eingeschobenen Intermezzi und Takt- und Stilbrüchen. Sagte ich schon, dass dieses Album keine leichte Kost ist? Wer bis hierher eine Hookline gesucht, der wird nicht fündig geworden sein. Aber dann: "History Alea Diktat Was" ist dann wirklich und wahrhaft der erste Titel, der überhaupt etwas von einer konventionellen Songstruktur hat, naja, so weit man sich das bei Sebkha-Chott eben vorstellen kann. Ein alptraumhafter Song (natürlich), der sich aus einer bedrohlichen Stimmung ganz langsam, immer weiter hochschaukelt. War es oben Zappa, so schielt hier und auch beim anschließenden "Nigla(h) - Part I" (vielleicht) ein wenig die Klangwelt von Bands wie Fantômas und Mr. Bungle durch die Musik. Wirkte die Musik am Anfang des Albums auf mich wie der verzerrter Alptraum eines Kindergeburtstags, auf dem böse Männer gemeine Scherze mit den schockierten Kindern treiben, so steigert sich "Nigla(h) - Tapisseries Fines en XXX Scripts et LXX/X Trompettes" in der zweiten Hälfte von "Nigla(h) - Part I" und im abschließenden "Nigla(h) - Part II" zu einem orgiastischem Finale, bei dem kein Stein mehr auf dem anderen stehenbleibt. Überhaupt hat es dieser letzte Track des Albums in sich (und ist mein persönlicher Lieblingstrack des Albums). Hier ziehen Sebkha-Chott verschärft (!) alle Register ihres Könnens, ziehen noch einmal das Tempo an, bitten zu einem letzten irren Derwisch-Tanz, bis dann das Thema ausklingt und in eine letzte, fast ununterbrochene achtminütige Sequenz ("Tapisserie LXXII - Truel a la Lucier") unheimlicher, stille Bedrohung mündet. Was auch immer geschehen sollte, es ist geschehen und das Album blickt (sic!) abschließend auf das, was dem Alptraum folgt: benommene Trunkenheit, Verwirrung, aufblitzende Erinnerungsfetzen, die gegen Ende hin immer weiter (psychedelisch) verklingen, ausklingen. Was für ein Fazit bleibt also für mich zu ziehen? "Nigla(h)" ist ein Album ohne klare Antwort (oder gar einer positiven Botschaft), ohne versöhnliche Quintessenz, ein irrer, irrwitziger, manchmal irrwitzig schneller Alptraum mit einer eigenen Logik (oder Story oder Anti-Logik oder Ästhetik oder Anti-Ästhetik) und wem es noch nicht aufgegangen sein sollte: Dies ist kein Album für jedermann.
Sal Pichireddu
© Progressive Newsletter 2009