CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Out Of Focus - Palermo 1972
(76:08, Garden Of Delights, 1972)
Im Mai 1972 schickte das Goethe Institut Out Of Focus nach Italien, deutsche Krautrock-Kultur in der weiten Welt zu präsentieren. Ursprünglich sollte die Band nach Indien fahren, das war dann jedoch zu teuer, Italien war die Alternative. Im Nachhinein betrachtet, Mai + Italien = keine schlechte Wahl, was auch im Tagebuch Morans nachzulesen ist, woraus Auszüge im Booklet abgedruckt sind. Die Band zeichnete ihre Konzerte auf, jedoch war bei vielen Konzerten ein Kanal des Revox A77 Bandgerätes ausgefallen. Lediglich das Konzert im sizilianischen Palermo, das beste dieser Tournee, wie die Band im Booklet meint, wurde ohne Einbußen aufgezeichnet. Sechs Songs sind auf der 76 Minuten langen CD enthalten. Die Band improvisiert lang und ausführlich, jedes Instrument trägt sein Solo bei, bis auf den Bass von Stephan Wiesheu. Out Of Focus spielten damals krautigen Jazzrock, der melodisch von Keyboards, Gitarre und Saxophon geprägt war. Diese drei Instrumente sind es auch, die den meisten improvisativen Raum ausbauen. Ein langes Schlagzeugsolo ist in "Cafe Stiletto" zu hören. "Where is your home town" ist knapp 9 Minuten lang, alle anderen deutlich länger. "Whispering" (10:15) und "Fly bird fly/Television program" (20:35) sind die einzigen von Platte bekannten Songs der Band, die Liveversionen gehen weit über die Studiokomposition hinaus. "Cafe Stiletto" (13:10), "I want to see your face no more" (12:32) und "I'm kissing right" (10:38) sind sehr improvisativ angelegt, haben fast schon avantgardistische Schwere und Schräglage, typisch für die damalige abgedrehte, intensive progressive Musik. Im Anschluss an das vom Publikum begeistert aufgenommene Konzert stiefelte ein Italiener auf die Bühne und stellte der Band den Strom ab. Die Story dazu ist im Booklet nachzulesen. Die Band spielte akustisch weiter, doch auch die Revox A77 braucht Strom, um aufnehmen zu können - und so sind nur die elektrischen Songs erhalten. Die Band gibt Alles. Saxophonist Moran und Gitarrist Remigius Drechsler wildern ausgiebig und heftig, von der intensiv arbeitenden Rhythmuscrew auf Trab gehalten. Morans Gesang und seine Sprüche, beides in englischer Sprache, klingen belustigend. Als hätte er eine Kartoffel im Mund, so bringt er sein Englisch hervor. Das tut dem Inhalt keinen Abbruch, sein Englisch ist verständlich und nachvollziehbar. Klingt aber schon etwas seltsam. Das Konzert ist digital überarbeitet worden, gewiss nicht mit Studioaufnahmen vergleichbar, hat aber einen erstaunlich guten Klang. Einige Livealben aus den 70ern klingen da deutlich schlechter. Im Booklet ist die Geschichte zur Tournee ausführlich nachzulesen, von Bildern und Diskographie ergänzt. Die Musik ist reichlich schräg, heftig und jazzlastig. Krautrockfans alter Schule wird das genüsslich durch die Hörorgane rinnen, Jazzfans der Frühsiebziger werden ebenfalls ein positives Deja Vu haben, wer "progressive" jedoch versteht, wie es heute überwiegend intoniert wird, könnte beim Anhören der Musik verstört und erschreckt sein. "Palermo 1972" kommt ganz ohne Kuscheleinheit und Schmusefaktor daher.
Volkmar Mantei
© Progressive Newsletter 2008