CD Kritik Progressive Newsletter Nr.63 (09/2008)
Koenjihyakkei - Hundred sights of Koenji
(45:55, Skin Graft Records, 1994)
Koenjihyakkei - Viva Koenji!!
(58:57, Skin Graft Records, 1997)
Die Japaner haben einfach ein Rad ab! Während sie nach außen hin und auch durch ihre kulturellen Zwänge immer einen sehr gefassten und in sich ruhenden Eindruck hinterlassen, niemals ihr eigenes Gesicht verlieren, brodelt es unter der Oberfläche doch ganz gewaltig. Und wehe, wenn sie losgelassen! Spätestens bei der japanischen Interpretation jeglicher musikalischen Stilistik sind den Grenzen der Überdrehtheit und Extreme keinerlei Grenzen gesetzt. Koenjihyakkei sind die japanische Version von Zeuhl und bei ihnen klingt das ganz einfach nach Magma auf Speed. Nicht so ganz verwunderlich, treibt Bandleader Tatsuya Yoshida ansonsten mit der nicht minder durchgeknallten Combo Ruins sein Unwesen. Bereits Mitte der 90er veröffentlicht, aber leider nur sehr recht schwer erhältlich, hat sich das amerikanische Label Skin Graft Records daran gemacht, die ersten beiden Alben von Koenjihyakkei neu aufzulegen. Doch nicht nur sind diese beiden Alben jetzt endlich wesentlich einfacher erhältlich, beim Debüt "Hundred sights of Koenji" wurde außerdem das Schlagzeug komplett neu aufgenommen, was dem Album wesentlich mehr Druck verleiht. Und was bekommt man auf diesen Alben zu hören? Magma in komprimierter und komplett überdrehter Form. Während die Zeuhl Urväter gerne mal 30-40 Minuten benötigen, um ihre Song Monolithen langsam zum Leben zu bringen, geht es bei den Japanern alles etwas flotter und konzentrierter zu. Wozu also langsam die Spannung aufbauen, wenn man auch gleich mit Vollgas in die Stampf-Teile mit Ork-Chorgesang einsteigen kann? Und so funktioniert "Hundred sights of Koenji" meistens nach der Devise "immer voll auf die Zwölf". Ergebnis: entweder hat man knallharte Nerven und findet Gefallen an dieser gurgelnden Extrem Musikform oder schaltet sofort ziemlich entsetzt wieder ab. Doch wer bereits meinte, dass es wohl kaum noch schlimmer geht, der wird auf dem genialen Nachfolger "Viva Koenji!!" (auch unter "II" gelistet) eines besseren belehrt. Dort, wo auf dem Debüt noch der Wahnsinn herrschte bzw. bisweilen noch einige ruhige pastorale Momente zu finden waren, bricht auf dem Nachfolger die absolute Apokalypse über den Hörer hinein. So durchgeknallt und bescheuert kann man doch gar nicht sein! Die Gratwanderung zwischen totaler Beklopptheit und Genie ist hier fließend und selbst Hardcore Magma Fans und Freunde japanischer Durchgeknalltheiten werden hier auf eine neue Probe gestellt. Doch taucht man in dieses Brachialgewitter der Klänge tiefer ein und schaltet einfach den Verstand ab, dann wird man dafür mit Polyrhythmik und Virtuosität aus einer anderen Welt belohnt.
Kristian Selm
© Progressive Newsletter 2008